Kultur:Die Musik zum Krieg

Vietnam war voll auf Dope und Rock, beim ersten Golfkrieg gab es keinen Alkohol und keine Frauen. Im Irak heute dominieren DVD, Internet und Rap - jeder Krieg schafft sich seine eigene Popkultur.

Andrian Kreye

Das Leben hört an der Front nicht einfach auf, auch wenn es das erklärte Ziel jeder militärischen Ausbildung ist, Willen und Persönlichkeit der Rekruten zu brechen. Doch auch in Uniform und Kugelhagel bleiben die Frontsoldaten zu allererst junge Leute, die die gleichen Sehnsüchten und Leidenschaften teilen wie ihre zivilen Altersgenossen.

US-Soldat

Neujahrfeier im US-Lager: Die Kultur der Soldaten hat sich verändert.

(Foto: Foto: rtr)

Ein Aspekt, mit dem sich nur wenige Kriegsfilme und -romane beschäftigen - was sicherlich damit zu tun hat, dass die Feuertaufen und Stahlgewitter des Krieges so gewaltige Erlebnisse sind, dass jugendliche Sehnsüchte und Leidenschaften höchstens als emotionale Requisiten einer Entwicklungsgeschichte auftauchen.

Selbst Jake Gyllenhaals Figur des Swoff durchläuft in Sam Mendes' Verfilmung der Golfkriegserinnerungen "Jarhead" die klassische Metamorphose vom Jungen zum Soldaten, obwohl sein Leben an der Front vor allem aus Warten besteht.

Was die modernen Krieger der westlichen Länder seit dem Zweiten Weltkrieg von ihren historischen Vorgängern unterscheidet, ist der Pop, der ihnen als erste eigenständige Jugendkultur eine Brücke zur Heimat schlagen konnte, die fast so wichtig wurde wie die individuellen Bande zu Familie und Daheim. Denn Pop ist ein Stück Heimat, das sich ohne weiteres an die Front transportieren lässt, egal ob als Kassette mit Rockmusik, wie im Vietnamkrieg, oder als Datenpaket auf einer Festplatte, wie derzeit im Irak.

In jeder Stellung ein Dorf mit Huren und Whiskey

Der Golfkrieg illustrierte diese Sehnsucht für den ehemaligen Scharfschützen der US-Marines und Autor der Buchvorlage von "Jarhead" Anthony Swofford gerade durch den Mangel an eigenständiger Popkultur für die Soldatengeneration in der Operation Desert Storm. "Wir haben den Vietnamkrieg damals richtiggehend romantisiert", erinnert sich Swofford. "Natürlich war das einerseits ein sehr ernüchternder Krieg, mit vielen Toten und dem schalen Gefühl, dass alles umsonst war. Auf der anderen Seite war das der Rock'n'Roll-Krieg.

Da gab es bei jeder Stellung ein Dorf mit Huren und Whisky, man hat Dope geraucht und Heroin genommen und alles war total verrückt." Der Golfkrieg dagegen: "Da gab es keinen Alkohol, keine Frauen. Wir waren ja in Saudi-Arabien. Es gab ja nicht einmal eine eigene Musik im Golfkrieg. Wir haben die ganze Zeit Jimi Hendrix gehört, die Rolling Stones, Led Zeppelin."

Viel hat sich verändert seit dem Golfkrieg. Die Soldatengeneration, die heute in Bagdad, Falludscha oder Basra kämpft, erlebt seit Beginn der unaufhörlichen Anschlagsserie in den irakischen Städten einen extrem klaustrophobischen Alltag. Der heute 27-jährige Sergeant "Big Neal" Saunders aus Texas war beispielsweise vom März 2004 an ein Jahr lang mit der Panzereinheit der 1stCavalry Divison in Sadr City stationiert, jenem Stadtteil von Bagdad, in der Schiitenführer Muktada al-Sadr am 8.April 2004 seinen Partisanenkrieg gegen die Amerikaner begann.

"Wir konnten das Gelände so gut wie nie verlassen", erinnert sich Saunders. "Neun von zehn Malen sind wir außerhalb der Befestigungsanlagen beschossen worden." Und wenn die Aufständischen einen ihrer Mörserangriffe lancierten, mussten sie selbst innerhalb der Mauern ihre wenige Freizeit in den Baracken oder Bunkern verbringen.

Drogen oder Alkohol konnte man sich zwar auf Patrouille von den Irakern besorgen, doch die Strafen dafür sind empfindlich. Außerdem sagt Saunders: "Wenn jederzeit ein Angriff kommen kann, willst du im entscheidenden Moment auch nicht betrunken sein." Und trotzdem versuchen sich die Soldaten abzulenken. So hat sich an der Front eine Art digitaler Folklore entwickelt, zu der Videospiele, raubkopierte CDs und DVDs, Digitalkameras, Webvideos und Blogs gehören.

Spiele, CDs und Filme kommen per Post

Denn die Zeiten, in denen die Frontsoldaten in Schlafsäle gepfercht wurden, sind lange vorbei. Als Berufssoldaten haben die Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte zumindest in den Städten Anspruch auf Unterbringungen, die mit ihren Kieswegen, Klimaanlagen und Kantinen fast an Universitätswohnheime erinnern. Und die statten sie mit der gesamten Bandbreite digitaler Freizeittechnologien aus.

Per Militärpost bestellen sich die Soldaten bei amerikanischen Versandhäusern MP3- und DVD-Spieler, Flachbildfernseher, Spielkonsolen und Laptopcomputer. Sie zeichnen ihre Erlebnisse auf Patrouille mit Digital- und Videokameras auf, die sie über Blogs und Chatseiten ins Netz stellen. "Auf unserem Gelände gab es einen Iraker, der alle möglichen Geräte sowie die neuesten Spiele und Filme verkauft hat", erzählt Saunders.

Er selbst ging aber noch einen Schritt weiter und ließ sich aus Philadelphia ein komplettes Heimstudio nach Bagdad liefern. Unter dem Namen "Big Neal" trommelte er daraufhin einen Trupp rappender Soldaten zusammen, die sich "4th25" nannten, was im amerikanischen Sport das letzte Viertel bezeichnet, in dessen letzten Minuten sich die meisten Football- und Basketballspiele entscheiden.

Mit Sperrholzplatten und alten Matratzen baute "Big Neal" Saunders in den Baracken ein provisorisches Tonstudio, in dem er mit seinen Kameraden ein Rapalbum mit dem Titel "Live from Iraq" aufnahm. Auf dem Album und der Webseite liefern 4th25 so etwas wie eine Essenz der digitalen Frontfolklore. Zimperlich sind die rappenden Soldaten dabei nicht.

Sie wettern gegen verlogene Iraker, blutrünstige Aufständische, halbherzige Offiziere, untreue Freundinnen und gegen die ignoranten Zivilisten und Politiker in der Heimat. "Das ist Krieg hier, und egal wen wir auf der Straße sehen - fick sie", heißt es in einem Song über den Alltag an der Front. Und in einem anderen: "Sie haben uns hierher geschafft wie Sklaven frisch vom Schiff, wo sie uns zusehen, wie wir ihre Baumwolle pflücken und den Arsch voll kriegen."

Nichts zu sagen haben

Auf der Webseite "4th25.com" kann man sich dazu Bilder und Videos von der Front ansehen, welche die 4th25-Soldaten teilweise selbst geschossen, teilweise aus dem Netz geladen haben. "Da gibt es ein regelrechtes Untergrundnetzwerk", sagt "Big Neal" Saunders. Aus dem stammen die Aufnahmen von Enthauptungen, verwackelte Aufnahmen von Aufständischen, die von Scharfschützenkugeln niedergestreckt werden, Fotos von verkohlten Leichen unter Autowracks, die an Straßensperren zusammengeschossen wurden.

Politik ist allerdings weit entfernt von dem, was "Big Neal" Saunders und seine Kameraden vermitteln wollten. "Da draußen machst du dir nicht lange Gedanken über schwarz und weiß, über richtig und falsch", sagt Saunders. "Da bist du viel zu sehr damit beschäftigt, zu überleben."

Es sei ihnen eigentlich nur darum gegangen, all das loszuwerden, was sie sonst niemandem erzählen konnten - weder den Freunden und Verwandten daheim noch den Offizieren hinter den halbwegs sicheren Mauern der Basis. "Ich brauchte das Gefühl, dass ich twas zu sagen habe", sagt Saunders. "Gerade weil ich in dieser Zeit nichts zu sagen hatte."

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