Künstlerprotokolle:Wie politisch ist die Documenta in Athen?

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(Foto: Stathis Mamalakis/Trevor Good/Angelos Spyro)

Auf der 14. Weltkunstschau sind indigoblaue Lämmer und Oliven für Kanzlerin Merkel zu sehen. Vier Künstler erzählen, warum.

Protokolle von Catrin Lorch und Kia Vahland, Athen

Die 14. Documenta ist durch und durch politisch. Und in einem Jahr wie diesem gibt es viele Aspekte, die die Künstler aufgreifen können: Trump, der Krieg in Syrien, die Flüchtlingsproblematik. Fünf von ihnen erläutern, was sie antreibt, ob ihre Werke tatsächlich ausnahmslos politische Botschaften transportieren und was sie sich von der Documenta in Athen versprechen.

"Am Eröffnungstag der Documenta habe ich in meiner Aktion "Payment of Greek Debt to Germany with Olives and Art" die Milliarden von Schulden symbolisch zurückgezahlt, die Griechenland so belasten. Die sind jetzt vom Tisch. Es war an der Zeit, dass Athen frei gesprochen wurde davon. Die Menschen müssen wieder verstehen, dass Athen ein besonderer Ort ist. Wir alle sind Griechen - das ist der Ort, an dem Zivilisation entstand. Aber ich bin kein Heiler, ich mache keine Vorschläge - ich habe meine Ideen, die ich in den Raum werfe. So wie man einen Stein auf die Straße wirft. Während der Pressekonferenz saßen wir Künstler und Kuratoren alle gemeinsam auf der Bühne, es war eine Stimmung wie bei einer Demonstration. Und ein paar sagten, dass wir hier auftreten wie Aktivisten. Aber ich habe ihnen geantwortet: Nein. Wir sind keine Aktivisten - wir sind Artivisten. Kunst und Aktivismus in einem Wort? Artivismus - das ist der Begriff für die Künstler dieser Documenta.

Künstlerprotokolle: Marta Minujín mit dem Double der Kanzlerin, dem sie symbolisch die Oliven überreichte.

Marta Minujín mit dem Double der Kanzlerin, dem sie symbolisch die Oliven überreichte.

(Foto: Angelos Spyro)

In Kassel werde ich ja einen "Parthenon of Books", den Tempel der Akropolis in Originalgröße aus verbotenen Büchern aufschichten. Ich weiß, was es bedeutet, wenn Bücher verboten sind, ich musste selbst so viele Bücher wegwerfen, Bücher von Herbert Marcuse, Jean Paul Sartre, Karl Marx Chomsky. Ich musste alle verbrennen, die Junta in Argentinien hätte mich für den Besitz solcher Werke eingesperrt, ich wäre womöglich verschwunden. Auch Kunst war verboten. Weil wir Künstler Philosophen der Zukunft sind. Künstler sind der Politik immer voraus. Ich lebe ja für nichts anderes als für meine Kreationen und Ideen und meine Kunst hat nichts mit Messen und Sammlern und all diesem Betrieb zu tun. Das alles hat nichts mit Kunst zu tun. Bei Kunst geht es immer nur um Vernunft, um Frieden und Ideen und Freiheit."

Marta Minujín, Konzeptkünstlerin aus Argentinien

Migration als Familienangelegenheit

"Ich war im Januar schon mal hier und habe nach einem Ort für meine Installation gesucht. Das war gar nicht so einfach. Jetzt ist diese Arbeit im nicht fertig ausgebauten Untergeschoss des Odeions, des Konservatoriums, untergebracht. Sie trägt den Titel 'The Way Earthly Things Are Going', er stammt aus dem Bob-Marley-Song 'So Much Trouble In The World'. Ich habe einen alten polyphonen Gesang aus Griechenland verwendet und in diesem Saal gespielt. Eine Mutter bittet vor dem Ofen, dass das Brot nicht aufgeht, das sie als Proviant für ihren Sohn bäckt - damit er sein Schiff nicht erreichen wird. Aufbruch, Migration, das ist in vielen Ländern eine Familien-Angelegenheit, es geht nicht nur um die Wirtschaft - sondern auch um Gefühle und Emotionen. Das Stück wird jetzt verteilt über Lautsprecher in einer rohen Betonhalle gespielt, die fast dunkel ist.

Pressematerial zur Documenta 14 in Athen

Emeka Ogbohs Installation "The Way Earthly Things Are Going" ist nach einer Zeile aus einem Bob-Marley-Song benannt.

(Foto: Mathias Völzke)

Gleichzeitig laufen dort die aktuellen Börsenkurse als LED-Band über die Wand. Für mich war von Anfang klar: Ich wollte ein Stück zur Finanzkrise machen, das ist die Situation im Moment, die Finanzkrise. Und die hat sich in Europa auf diese beiden Länder zugespitzt, auf Griechenland und Deutschland. Das ist die zeitgenössische politische Situation."

Emeka Ogbo, Video- und Klangkünstler aus Nigeria

Mutig und richtig, die Documenta nach Athen zu holen

"Ich habe für diese Documenta alte Stühle, Tische, Sessel zu Musikinstrumenten umgebaut. Man kann sie ausprobieren. Einige klingen wie traditionelle griechische Saiteninstrumente, haben aber doch einen ganz eigenen Charakter. Manche werden auch in Nachbarländern wie der Türkei, der Heimat meiner Familie, gespielt. 'Von Athen lernen', das Motto der 14. Documenta, bedeutet für mich, ortsbezogen zu arbeiten, zu schauen, wie sich das Leben hier etwa von unserem in Deutschland unterscheidet. Es ist eindrucksvoll, mit wie viel Nachbarschaftshilfe die Leute auf die ökonomische Krise reagieren, auch die Künstler hier schaffen quasi aus dem Nichts, ohne Förderung, völlig Neues. Griechenland wird in Deutschland seit einigen Jahren sehr kritisch gesehen, es heißt, da wollen wir nicht noch mehr Geld reinbuttern. Athen hat in den Augen der deutschen Öffentlichkeit nichts Attraktives mehr, gerade deshalb finde ich die Entscheidung, hier die Documenta abzuhalten, so mutig und richtig. Das wirkt der Verachtung entgegen und stellt die Trennung in Privilegierte und Nichtprivilegierte infrage.

Nevin Aladag documenta Athen

Nevin Aladag aus Berlin

(Foto: Trevor Good)

Ich mag es nicht, wenn meine Kunst immer auf meine türkische Herkunft bezogen wird. Jeder ist irgendwo geboren, ohne das beeinflussen zu können, warum soll die Herkunft bei mir eine größere Rolle spielen als bei anderen? Politische Kunst ist für mich, wenn es nicht immer nur darum geht, wo jemand herkommt, sondern wenn sie zu einer sozialen, ökonomischen, humanen Aussage findet. Zu plakative Arbeiten gefallen mir nicht, ich selbst versuche eher, subtiler zu arbeiten und sehe das auch bei vielen anderen Positionen auf der Documenta."

Nevin Aladag, Installationskünstlerin aus Berlin

Indigo, kontaminiert von der Geschichte

"Jedes dieser Schafe werde ich in den nächsten Tage einfärben - in unterschiedlichen Schattierungen von Indigo-Blau. In Afrika gibt es 54 Staaten und sie haben alle eine andere Form auf der Landkarte, deswegen sind es auch 54 Schafe. Die Arbeit an diesem Werk konnte erst jetzt anfangen, weil der griechische Zoll meine Sendung von Indigo nicht abgewickelt hat. Man befürchtete wohl, dass in dem Paket so etwas wie das Pulver war, mit dem Anschläge verübt wurden. Jetzt sind die Lämmer schon ein bisschen gewachsen und es wird länger dauern, sie einzufärben. Dann bringe ich sie auf eine Weide und das Publikum kann mir dabei zusehen - eine alltägliche und althergebrachte Migration, der Schäfer zieht mit seiner Herde von einem Weideplatz zum nächsten.

Pressematerial zur Documenta 14 in Athen

54 Schafe entsprechen bei Aboukabar Fofanu den 54 Staaten des afrikanischen Kontinents - jedes in einem anderen Ton von Indigo-Blau.

(Foto: Stathis Mamalakis)

Warum Indigo? Indigo ist auch eine Heilpflanze, in der Tradition meiner Heimat Mali hat die Farbe auch mit Segnung und Schutz zu tun. Echtes Indigo, das vom Strauch gewonnen wird, ist sehr wertvoll. Historisch war es einer der wenigen Farbstoffe, mit denen man Blau erzeugen konnte und es war sehr gefragt. Der Handel mit diesem Rohstoff ist zutiefst verbunden mit der Geschichte des Kolonialismus und der Sklaverei in Afrika. Es waren Sklaven, die diese Sträucher anbauten - in Afrika, aber auch in den Vereinigten Staaten. Es ist kontaminiert mit dieser Geschichte. Im 19. Jahrhundert haben die Briten dann als Kolonialherren den Menschen ihr Land geraubt, um dort Indigo anzubauen. Viele sind verhungert, weil kein Land mehr für den Nahrungsanbau übrig war. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Rohstoffe auch eine dunkle Geschichte haben. Dass Farbe nicht einfach nur Material ist für einen Künstler. Übrigens rette ich meine kleine Herde hier in Athen auch vor einem barbarischen Brauch des Westens: Nächste Woche ist Ostern, das werden hier alle Lämmer geschlachtet und gegessen."

Aboukabar Fofanu, Textilkünstler aus Mali

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