Künstlerkolonie:Pool und Kerker

Künstlerkolonie: Übersteuerte Farben, gleißendes Licht und kühle Romantik: "Das Telefonat" vom Kölner Künstler Leif Trenkler, der mit seinen Gemälden in Leipzig gut ankommt.

Übersteuerte Farben, gleißendes Licht und kühle Romantik: "Das Telefonat" vom Kölner Künstler Leif Trenkler, der mit seinen Gemälden in Leipzig gut ankommt.

(Foto: Galerie Jochen Hempel/VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Auch 16 Jahre nach der Gründung befruchten sich auf dem Leipziger Spinnereigelände Galeristen, Maler und Ausstellungsmacher. Ein Rundgang.

Von Luise Schendel

Rote Ziegel, blindes Fensterglas, Gras wächst zwischen den Steinen der kleinen Kopfsteinpflasterstraße, durch die auch ein paar alte Förderschienen führen. Einst stand hier, im Leipziger Stadtteil Lindenau, die größte Baumwollspinnerei Europas. Heute erinnern nur noch der Name und die bröckelnden Klinkerbauten an die großen Zeiten der Textilindustrie.

16 Jahre ist es nun her, dass die letzte Produktionsstrecke auf dem Gelände geschlossen wurde. Dann übernahmen Florian Busse aus München, Tillmann Sauer-Morhard aus Berlin und Bertram Schultze aus Leipzig das Gelände und machten ein Kunstquartier daraus. Seitdem gelingt dort die rare Koexistenz von Galerien, Ateliers und nicht-kommerziellen Räumen wie dem Kulturzentrum Halle 14.

Die Leipziger Schule ist in die Jahre gekommen. Viele Sammler sind ihr trotzdem treu geblieben

In Zukunft sollen auch ein Naturkundemuseum und das freie Theater Lofft in die alten Industriebauten einziehen. Doch noch haben die bildenden Künstler das Gelände fest im Griff, die von hier aus Leipzigs Ruf als Hochburg der Gegenwartskunst maßgeblich begründet haben. Neo Rauch, der bekannteste Vertreter der "Neuen Leipziger Schule", arbeitet schon seit vielen Jahren auf dem Spinnerei-Gelände.

Es verwundert also nicht, dass neulich, beim traditionellen Frühjahrsspaziergang, die Kunsthändler wieder viel Gegenständliches im Stil von Neo Rauch anboten. Auch wenn längst nicht alle Galerien an den publikumsreichen Frühlingstagen mit "neuen Leipzigern" aufwarten, verlassen sich die meisten auf Bewährtes. Abstraktion, Video und anderen Werke jenseits des Leipziger Stils räumen die Händler nicht viel Platz ein. Warum auch? Obwohl die Neue Leipziger Schule zwischen Basel und Miami kein Selbstläufer mehr ist wie noch vor einigen Jahren, gibt es genügend Sammler, die ihr bis heute treu geblieben sind und hier immer noch fündig werden.

Zum Beispiel in der Kunsthandlung "The grass is greener", die mit den Leipzigern Tino Geiss und Jörg Ernert auf Künstler aus dem Umfeld Neo Rauchs setzen. Mit einigem Erfolg. Vor allem die Malereien Ernerts, die sich wie so häufig bei zeitgenössischen Künstlern an Motiven der Kunstgeschichte, etwa Piranesis, Turners und Spitzwegs orientieren, stoßen beim Publikum auf viel Gegenliebe. Bis auf zwei Arbeiten ist alles verkauft.

Zugute kommt Ernert dabei vor allem seine Vorliebe für sanfte Übergänge und kräftige Farben. Während er Piranesis "Kerker", eine niemals in die Realität übersetzte Architekturskizze monumentaler Gefängnisbauten, mit schnellem Strich in Braun und Schwarz inszeniert, setzt der Künstler nur dann und wann Sollbruchstellen in Form von modernen Baugerüsten. So erwachsen auf der Bildebene zeitenthobene, zuweilen auch ins Kitschige abgleitende Auseinandersetzungen mit den Vorbildern, die sich an der figürlich-abstrakten Malerei Rauchs orientieren.

Tino Geiss geht noch einen Schritt weiter. Er entwickelt eine erfrischend eigene, sehr genaue und reduzierte Art zu Malen. Während er sich mit seinen Frühwerken - collagierten Interieurs - noch ganz auf Leipziger Linie bewegte, überschreitet der Künstler in seinen neuesten Arbeiten beinahe die Grenze zum Foto-Realismus. Ein Papierstreifen aus Malerkrepp hat es ihm angetan, an dem der Leipziger die Übergänge zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit auslotet.

Ganz in der Nähe, in der Galerie Dukan, skizziert die Arno-Rink-Schülerin Miriam Vlaming scherenschnittartig abstrahierte menschliche Körper, die meist in einer moosgrünen Grundfarbigkeit aufgehen. Unter dem Ausstellungstitel "Eden" spürt sie hier einer Art Archetyp des Menschlichen nach.

Nur einen Steinwurf entfernt finden sich in der Galerie Jochen Hempel mit den Werken des Kölner Malers Leif Trenkler die zur Zeit spannendste Kunst auf dem Spinnereigelände. Dass seine Gemälde gut zur ortstypischen Figürlichkeit à la Rauch passen, ist wohl kein Zufall.

Trenkler irritiert das Auge mit übersteuerter Farbigkeit. Gleißend erscheinen Sonne und glitzernde Staubpartikel in der Luft, dunkel und kühl das Wasser, rosig und romantisch die gut gelaunten Kinder und die Tiere, die so gar nicht zur technisch wirkenden Farbigkeit passen wollen. Diese Bilder ziehen das Auge an, ihre Sujets verführen. Vor allem die schon etwas älteren, impressionistisch anmutenden Tupfenbilder berühren auf seltsame Weise. Dabei spielt der Maler vor allem mit der Fantasie des Betrachters.

Maix Mayer kam frisch inspiriert aus Rom zurück und mischt das Künstlerdorf nun mit einer Antonioni-Arbeit auf

Und Judy Lybke, das Urgestein der Leipziger Szene und mit seiner Galerie Eigen + Art nach wie vor ihr wichtigster Vertreter? Er zeigt hier ein Werk von Maix Mayer, der mit seinen Architekturansichten, Videos und Installationen zur Zeit zu den prominentesten Leipziger Künstlern zählt. Erst im Januar kehrte er von seinem Aufenthalt in der römischen Villa Massimo zurück und brachte von dort die beeindruckende Arbeit "Barosphere" mit.

Gegenstand der Arbeit ist die futuristische Architektur und landschaftliche Umgebung des früheren Ferienhauses von Michelangelo Antonioni an der Nordküste von Sardinien: die Kakteen, das Meereswogen, die trockenen Mauern des Hauses, das sich wie eine Festung dem Betrachter entgegenstellt.

Mayer schwenkt mit seiner Kamera ausgiebig durch das spektakuläre, leerstehende Haus. Doch die Arbeit lebt vor allem von den Texten eines fiktiven Tagebuchs , das zu den Bildern gelesen wird: "Du schriebst mir oft: Ich begnüge mich mit der Distanz, stelle mir oft vor, wie ich dort gehe, sitze, stehe." Es ist diese Distanz zu der Landschaft, zu dem Bau, zu dem Menschen Antonioni, die die eigentliche Stärke von Maix Mayers Arbeit ausmacht.

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