Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset:Skulpturen im Zickenkrieg

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Sie sind Kreativspezialisten für Kunst im öffentlichen Raum - gerade erst haben Michael Elmgreen und Ingar Dragset ein männliches Gegenstück zur kleinen Meerjungfrau geschaffen. Im Bühnenstück "Happy Days" haben sie ihre Rolle als Existenzclowns der Kunstszene nun selbst inszeniert. Und auch München bleibt von der Selbstironie der beiden Skandinavier nicht mehr lange verschont.

Christine Dössel

Wer das Duo Michael Elmgreen und Ingar Dragset nicht persönlich kennt, würde glatt vermuten, die beiden Künstler seien es selbst, die da vorne auf dunkler Bühne übereinander in einem Stockbett liegen: beide akkurat gekleidet - schwarzer Anzug, Hemd, Krawatte - und den Originalen prototypisch abgeschaut. Bärtig, sanft und sensibel wirkend der eine, unten Liegende (ID); rasiert, blondiert und auch rhetorisch frisiert der Obere (ME), welcher vom anderen jäh aus einem Traum gerissen wird und sich darüber bitter beklagt, weil es doch so ein schöner Erfolgs-Traum über sie beide als Künstler war.

Die kleine Meerjungfrau aus dem Märchen von Hans Christian Andersen, als Skulptur seit 1913 im Hafen von Kopenhagen, hat einen Boyfriend bekommen. Im Meerjüngling des Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset, der im Hafen von Helsingör steht, ist die Ironie schon mit eingebaut: Eine elektrische Vorrichtung sorgt dafür, dass er einmal in der Stunde mit den Augen zwinkert. (Foto: dpa)

In diesem Traum lebten sie in einer Stadt, "in der alle anderen auch Künstler waren - Berlin vermutlich", aber es waren just sie beide, deren Werke ein ukrainischer Oligarch im pinkfarbenen Porsche aufkaufen wollte, das ganze Studio - "I want it all!" -, und zwar mit Cash aus dem Fass, übergeben an der polnischen Grenze, so laufe das auf dem "neuen Markt", in der "neuen Kunstwelt". Fast schon wären sie also - nach Abzug der 50 Prozent für die Galerie, der Produktions-, Transport- und Druckerpatronenkosten, der Versicherung, VAT und sonstiger Steuern - reich geworden. Und ausgerechnet da weckt ihn sein Idiot von Partner auf!

Solcherart ernüchtert, landet ME dann aber nicht etwa auf dem Boden der Realität, sondern gemeinsam mit dem verängstigt wach liegenden ID in einem noch viel absurderen Traum. Dass der sich ausnimmt wie eine Szene von Samuel Beckett, kommt nicht von ungefähr, war die Wiederbeschäftigung mit Beckett - insbesondere mit dessen "Warten auf Godot" - doch die Initialzündung für das Stück "Happy Days in the Art World", das Michael Elmgreen und Ingar Dragset (unter dramaturgischer Mithilfe von Tim Etchells von der britischen Gruppe Forced Entertainment) als Kunst(markt)satire und nicht zuletzt auch als Selbstporträt geschrieben haben.

Die Uraufführung war letzten Herbst beim Performa-Festival in New York. Bei den Festspielen im norwegischen Bergen, im Heimatland von Ingar Dragset, kam nun als Koproduktion mit dem Königlich-Dänischen Theater in Kopenhagen - der Heimatstadt von Michael Elmgreen - eine skandinavische Fassung des Stücks in der Regie von Christoffer Berdal heraus. Ole Johan Skjelbred gibt darin mit teddybäriger Liebenswürdigkeit Dragsets bärtiges Bühnen Alter-Ego ID, und der Schauspieler Johannes Lilleøre ist als drahtig-pfiffiger ME unverkennbar ein Michael-Elmgreen-Double.

Sind sie Gefangene, Wartende, Verlorene - oder gar gestrandet in einer ihrer eigenen Installationen? Die beiden Stockbettgenossen wissen weder genau, wo noch wer sie sind - "eine skandinavische Ausgabe von Laurel & Hardy ... Siegfried & Roy ... Gilbert & George?" - alles ganz schrecklich. Angst und Hunger machen sich breit. ID lockt ME mit dem Angebot, er habe eine Packung "Livesavers" dabei, von seinem sicheren Hochbett herunter, aber er hat gelogen, die Süßigkeitenpackung ist bloß eine Knopfsammlung.

Wie sich herausstellt, näht ID manchmal, wenn ihm unterwegs langweilig ist, Knöpfe an Dinge - auf Fußmatten, Fahnen, Blätter oder Lounge-Sessel. Was ME zur Weißglut bringt, weil er dieses "solo sewing project" als künstlerischen Alleingang, als Aktion hinter seinem Rücken begreift, und sie seien doch verdammt noch mal ein Künstler-Duo! Ohne ihn, macht ME dem Partner klar, sei ID kaum etwas wert, wo er doch schon jetzt mit seinem 50-Prozent-Anteil am Duo nur ein halber Künstler sei.

So streiten sie im Geiste von Wladimir & Estragon in offenkundiger Hassliebe dahin, zwei Existenzclowns der Kunstszene, nehmen den hybriden Betrieb auf die Schippe, reißen Kunstmarkt- und Kuratorenwitze und machen sich am meisten über sich selber lustig.

Die Sped-Ex-Kurierfrau, die im dritten Akt schließlich mit Hubschraubergetöse anstelle eines Godot erscheint, kündigt, bevor sie unter einem Wortschwall aus Fachjargon zusammenbricht, den Besuch einer Super-Duper-Chefkuratorin an. Documenta vielleicht. Mindestens. Daraufhin geht das Warten erst richtig los ...

Das alles ist zwar nicht wirklich böse und mehr eine Sketch-Performance als ein Theaterstück, aber doch sehr witzig und auf geistreiche Weise selbstironisch. Gerne würde man den Spaß von Elmgreen & Dragset selber aufgeführt sehen. Wie pointiert "Happy Days in the Art World" die beiden Künstler trifft, wie sehr es ihnen auf den Leib oder besser: ihnen von der Leber weg geschrieben ist, zeigt sich in seiner ganzen Charme- und Bandbreite erst so richtig beim Gespräch mit den beiden am Tag nach der Premiere.

Ingar Dragset, 1969 im norwegischen Trondheim geboren und seit vielen Jahren in Berlin zu Hause, kommt in kniekurzen Hosen und kontrastiert die robuste Holzfäller-Derbheit, die sein Vollbart ausstrahlt, mit großer Freundlichkeit und einer auffälligen Zartheit im Blick. Michael Elmgreen, der Ältere - 1961 geboren -, ist sichtlich der extrovertiertere, zappeligere, schnellere. Er lebt hauptsächlich in London. Seine Augen sind frech und strahlen mit dem Korallblau seines T-Shirts um die Wette.

Seit 1995 arbeiten die beiden zusammen, in den ersten zehn Jahren waren sie auch privat ein Paar, "Happy Days" spielt in vielen Momenten darauf an. Elmgreen & Dragset sind Kreativspezialisten für Kunst im öffentlichen Raum und haben mit einer Reihe von hintersinnig komischen Werken - etwa einer nachgebauten Prada-Boutique in der texanischen Wüste - international Aufsehen erregt.

Spätestens seit sie 2009 bei der Biennale in Venedig unter dem Titel "The Collectors" sowohl den nordischen als auch den dänischen Pavillon spektakulär bespielten, sind die zwei auf dem Kunstmarkt eine ganz heiße Nummer. Ihre Statue eines Kleinen Meerjünglings wurde soeben in Helsingør enthüllt (siehe Foto); ihr Bronzejunge auf einem Schaukelpferd ziert seit Februar die "Vierte Säule" (Fourth Plinth) auf dem Londoner Trafalgar Square.

Und auch die Stadt München hat das innovative Duo gebucht: Elmgreen & Dragset sollen für 2013 das Großprojekt "A space called public / Hoffentlich Öffentlich" konzipieren und kuratieren - eine über die ganze Stadt verteilte, sich mit deren Image und Selbstbild beschäftigende Kunstaktion mit vielfältigen Performances und Installationen. 1,2 Millionen Euro lässt München sich diese Bespielung kosten. "Unser Job ist es, von außen auf die Strukturen einer Stadt zu schauen und sie umzumodeln", sagt Elmgreen und freut sich schon auf das südeuropäische Flair, das sie mit nordischem Blick im "poshen" München ausgemacht haben.

Auch bei den traditionsreichen Festspielen in Bergen, dem größten Bühnenfestival Nordeuropas, sind Elmgreen & Dragset bestens eingeführt. Der scheidende Intendant Per Boye Hansen, der jetzt die Oper in Oslo übernimmt, kennt die beiden aus Berlin, wo sie ihr Studio haben und Hansen fünf Jahre lang Operndirektor an der Komischen Oper war.

Er hat sie in Bergen 2005 mit der großen Ausstellung "The Welfare Show" vorgestellt, die dann auch in die Serpentine Gallery nach London ging. Und er ließ sie beim Bergen Festival 2008 eine Oper inszenieren: Kaija Saariahos "L'amour de loin". Wobei die beiden das Libretto von Amin Maalouf nicht wirklich "inszeniert", sondern dazu einen Animationsfilm gedreht haben, und der wurde dann abgespielt, während die Sänger am Bühnenrand dazu sangen. "Tolle Sache", sagt Dragset, "eine Zeichentrick-Oper."

Überhaupt lieben sie das Theater mit seinem Live-Atem, seiner Direktheit, seiner Aufforderung, "leise zu sein, zuzuhören, das Handy auszuschalten und mal eine Pause einzulegen bei der permanenten Selbstpromotion auf Facebook und Websites". Als Gegenmodell zum Museum sei Theater absolut inspirierend, findet Elmgreen. Findet auch Dragset.

Happy Days" war ja auch nicht das erste Stück, das sie für die Bühne geschrieben haben. 2007 entstand - für die Städtischen Bühnen Münster - die Performance "Drama Queens". Darin treten berühmte Skulpturen aus der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts auf: der "Walking Man" von Alberto Giacometti, Jeff Koons' "Rabbit" oder die "Brillo Box" von Andy Warhol. Sie sausen auf beweglichen Sockeln über die Bühne, führen sich wie Superstars auf und treten an zum Zickenkrieg, jeder in der Meinung, er selbst sei das einzig wahre Kunstwerk. Großartige Kunstsatire.

Den Text dazu sprachen Profi-Schauspieler, am Old Vic in London war zum Beispiel Kevin Spacey der Koons-Bunny und Jeremy Irons die Giacometti-Figur. Elmgreen & Dragset nennen solche Namen nicht ohne Stolz - aber eher, weil sie es so lustig finden. Die beiden wirken alles andere als abgehoben. Es ist ein lässiger, schelmischer Blick, mit dem sie die Welt wahrnehmen. Und die Rollenaufteilung funktioniert reibungslos.

Elmgreen: "Ich bin der Blinde, und er ist der Taube." Dragset: "Wir brauchen einander." Elmgreen: "Es ist wegen des Dialogs." Dragset: "Michael ist ein bisschen verrückt, müssen Sie wissen, nicht besonders logisch - er spinnt, aber das ist wunderbar." Elmgreen: "Aber ohne Ingar würde nie etwas passieren." Dragset: "Natürlich ist es auch Kampf." Elmgreen: "Aber entspannter inzwischen, keine gebrochenen Rippen mehr. Wir werden älter."

© SZ vom 05.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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