Künstler Jeff Koons:Hummer und Schnitzel

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Popeye, Hulk und Piraten: Jeff Koons verkauft gut. Den Pinsel nimmt er nicht in die Hand - er überwacht und philoschwadroniert lieber.

Jörg Häntzschel

Ungefähr so muss es im Atelier eines Alten Meisters zugegangen sein. Sieben Leute drängen sich um einen Tisch und mischen Farben. Neun kauern in unmöglichen Positionen auf einem Gerüst vor einer Leinwand und bearbeiten mit winzigen Pinseln die ihnen zugewiesenen Quadratzentimeter. Insgesamt 100 Angestellte malen, schleifen, polieren, sprayen in den diversen Räumen des weitläufigen Studios am Westrand von Manhattan.

Exzentriker Jeff Koons redet in undurchschaubaren Bandwurmsätzen und knipst sein Lächeln nur für Fotos an. (Foto: Foto: dpa)

Sie sprechen kaum, es gibt nicht viel zu sagen. Wenn ihr Chef Jeff Koons Gäste durch die Räume führt, senken sie schüchtern die Köpfe. Es ist, als schütze sie allein die Soundblase, in die sie ihr Kopfhörer taucht, vor der Scham des frühindustriellen Arbeiters, der vom Fabrikdirektor ausgewählt wird, um dem Besucher die neuesten Prototypen zu demonstrieren.

Als Koons in den achtziger Jahren bekannt wurde, galt er als der Künstler eines frivolen Jahrzehnts. Sein Stern sank in den Neunzigern. Über den exorbitanten Kosten, die die Produktion seiner Werke verschlingen, wäre er fast bankrott gegangen.

Dann, vor einigen Jahren, gelang ihm ein erstaunliches Comeback. Ohne, dass sich künstlerisch bei ihm viel verändert hätte, machten die Preise für seine riesigen Gemälde und seine auf Hochglanz polierten Edelstahlskulpturen ihn zu einem der erfolgreichsten Künstler der Gegenwart. Seine "Balloon Flower (Magenta)" brachte noch im Juli bei Christie's 25,7 Millionen Dollar. Kürzlich löste eine Schau mit Koons-Werken im Schloss von Versailles milde Aufregung aus ( SZ vom 13.September).

Am Freitag wird in der Berliner Neuen Nationalgalerie eine Ausstellung mit Werken aus der Serie "Celebration"eröffnet, an der der Künstler seit 1994 arbeitet. Ob sein Stern auch in der aktuellen Krise wieder mit den Aktienkursen sinken wird, die Koons über Takeout-Salat und Sprite in der Mittagspause an seinem Schreibtisch checkt, werden die nächsten Monate zeigen.

Jeans, Hemd, Sneakers, nettes Jungengesicht: Koons, der 53 Jahre alt ist, sieht aus wie ein in ewigem Teenagertum kreisender amerikanischer Everyman. Seine Stimme ist unendlich angenehm, und er spricht die Worte besonders deutlich aus, als fürchte er, nicht verstanden zu werden. Es sind immer dieselben: "cul-ture", "di-a-logue", "en-joy", "ac-cep-tance" und vor allem "con-trol", das Schlüsselwort seines Schaffens.

Popkultur-Salate

Wie sein ähnlich erfolgreicher Kollege Takashi Murakami produziert Koons seine Werke, ohne einen Pinsel in die Hand zu nehmen. Er sagt: "Wenn ich alles selber machen würde, wäre ich so eingeschränkt, aber ich überwache alle Prozesse. Es ist, als wäre jeder Pinselstrich von mir."

Die Mitarbeiter werden alleine für Fingerfertigkeit und Genauigkeit bezahlt. "Was ich anstrebe, ist ein bestimmtes Gefühl beim Betrachter. Wenn ich nicht die völlige Kontrolle über alle Elemente habe, die dabei zum Tragen kommen, ist diese Reaktion verloren. Vielleicht hat ein Teil des Gemäldes zu viel Textur, oder eine Skulptur hätte an einer Stelle noch etwas genauer bearbeitet werden müssen, schon ist die Glaubwürdigkeit des ganzen Werkes dahin."

Koons' neueste Gemälde sehen aus wie gut durchgeschüttelte Popkultur-Salate: Popeye, Hulk, Piraten; wilde Pinselstriche, von denen einige von Koons' Kindern stammen, fliegen durcheinander. Doch beliebig ist hier nichts.

Zunächst schickt Koons die Vorlagen durch den Scanner. Dann arrangiert er die Elemente am Computer, bestimmt minutiös die Farbwerte, die Kontraste, die Übergänge. Schließlich wird eine digitale Version des Bildes ausgedruckt. Die Assistenten zerlegen das Gemälde wieder in seine Einzelteile, vergrößern diese und legen auf schematischen Darstellungen, die an Landkarten mit Höhenlinien erinnern, für jeden Quadratmillimeter die Farbe fest.

Ein Pinselstrich auf den durchweg zimmergroßen Gemälden besteht oft aus Hunderten von Feldern mit je unterschiedlichen Tönen. Und jeder dieser Farbtöne ist auf Musterbögen genau definiert. "Wir wollen sicherstellen, dass jeder Popeye, jeder Affe absolut identisch aussieht, egal, wer die Arbeit ausführt, egal, ob heute oder in drei Jahren", erklärt seine Assistentin. Mit Massenproduktion hat sein hierarchisches Arbeitsprinzip nichts zu tun. Trotz der Hundertschaft von Angestellten vollendet das Atelier nur sechs bis acht Bilder im Jahr.

Lesen Sie auf Seite 2, was ein Hummer auf dem Scheiterhaufen zu suchen hat.

Noch aufwendiger ist die Produktion der Metallskulpturen. In Koons' zwei neuen Werkserien, "Popeye" und "Hulk Elvis", sind es Aluminiumversionen bunter, aufblasbarer PVC-Schwimmtiere, die an Ketten hängen oder auf Leitern balancieren: eine Robbe, ein Delphin und immer wieder ein knallroter Hummer.

Vor dem Versailler Schloss: Koons' "Balloon Flower". (Foto: Foto: ap)

In einem langwierigen Prozess werden Abdrücke der aufgeblasenen Plastiktiere samt Ventil und Schweißnähten genommen. In endloser Handarbeit werden dann Modelle hergestellt. Schließlich wird das Ganze zu den Gießereien nach Kalifornien und Deutschland verschifft, wo Koons die Produktion einmal im Monat persönlich überwacht.

Zurück in New York wird wieder gefeilt, geschmirgelt, poliert, und schließlich Farbe aufgesprüht, bis das Ding zuletzt so echt aussieht, dass das Bedürfnis fast unwiderstehlich ist, es zu berühren und das kalte Aluminium zu spüren. "Darf ich?" "Nein."

"Das ist kein Selbstzweck. Ich verschwende keine Energie. Wenn er fertig ist, muss der Hummer auftreten wie ein Akrobat im Zirkus, er muss eine Präsenz besitzen. So dass der Betrachter sich fragt, wessen Vorführung ist das hier eigentlich: die des Hummers oder die des Künstlers? Aber es gibt auch eine Verbindung durch die Geschichte hindurch. Der Hummer ist wie jemand, der sich öffentlich entblößt, wie jemand, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird."

Der Hummer ... auf dem Scheiterhaufen ... Wie in jedem seiner Interviews dauert es auch diesmal nicht lange, bis Koons vom unerschütterlichen Pragmatismus, den er ausstrahlt, von der Banalität seiner Ästhetik Richtung Weltall abhebt.

"Wenn ich den Hummer betrachte, beginnt sofort ein Dialog mit der Kunstgeschichte. Als erstes fällt mir Dalí mit seinem Bart ein, ich denke an Duchamp und an die Mona Lisa, und wenn ich in den Hummer hinein gehe, finde ich dort die weiblichen Genitalien, hier die Gebärmutter, dort die Eierstöcke, kurz: die Fortpflanzungsorgane der Frau, wenn man es mal aus der Perspektive von Leonardo da Vinci sehen würde."

Ikonen des Banalen

Glaubt er das alles wirklich? Nimmt er einen auf den Arm? Oder errichtet er mediale Kulissen, vor denen seinen Äffchen und Häschen erst richtig nach Kunst aussehen? Es bleibt bis zuletzt unklar.

Seine Werke seien "Sender", sagt er, die den "Dialog" ermöglichten. Ein Dialog, der nur funktioniere, solange der Betrachter das Vertrauen nicht verliere. Doch so undurchdringlich wie die Oberflächen seiner metallenen Ballonskulpturen sind auch seine Bandwurmsätze.

"Ich suche nach Archetypen", erklärt er die Wahl der Kindermotive. "Etwas, auf das jeder reagieren kann, auch noch in 20 Jahren." Man könnte sie Ikonen des Banalen nennen - er nennt sie "profund". Dann lässt er wieder Fetzen Kunstgeschichte regnen, als kämpfe er um Anerkennung: "Dies ist natürlich eine Anspielung auf Courbet und sein Gemälde "Ursprung der Menschheit"", hebt er vor einem der "Hulk Elvis"-Bilder an, während er seine Assistenten zur Seite schiebt. "Es ist der Raum des 19. Jahrhunderts, der Wasserfall bezieht sich auf Seurrat, da ist Lichtenstein, Polke, wie ein alter Farbfernseher."

Koons ist ein Verkaufsgenie. In den Achtzigern finanzierte er mit einem Job als Broker an der Wall Street seine ersten Werke. Macht ihm die neue Finanzkrise Sorgen? "Nein, ich glaube an Kunst. Das Leben verläuft in Zyklen. Mir tun die Leute leid, die sich in diesen Zyklen verfangen haben. Es ist ihr Leben, das vorbeizieht. Aber vor allem ist es eine großartige Gelegenheit."

Eine Gelegenheit, Aktien zu kaufen? "Eine Gelegenheit für das Leben, für Information, Interaktion. Das Leben hört nie auf. Auch heute Nacht werden sich Menschen fortpflanzen!"

An seinem Heimatort in York, Pennsylvania will Koons demnächst ein deutsches Restaurant eröffnen, sagt er beim Abschied, "es wird Schnitzel geben und Weißbier. Seit ich Anfang der Neunziger in München gelebt habe, genieße ich die deutsche Kultur sehr. Das wiederum führt mich zur Philosophie." Koons, der sein breites Lächeln nur für Fotos anknipst, macht ein ernstes Gesicht. "Ich habe das Gespräch sehr genossen. Ich hoffe, Sie auch!"

© SZaW vom 25./26.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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