Künstler abseits des Kunstbooms:"Ich habe jeden Abend Angst"

Stars der Kunstbranche erzielen selbst in Krisenzeiten Höchtspreise. Die Kunstwelt abseits des Booms sieht anders aus: Sechs junge Künstler erzählen, wie sie überleben - mit Hartz IV.

6 Bilder

Werk von Grazyna Zarebska

Quelle: SZ

1 / 6

Auf der Londoner Frieze Art Fair stellte der peruanische Künstler Jota Castro vergangene Woche ein paar schicke Glasplatten aus, auf denen er Dutzende Namen international bekannter Sammler eingraviert hatte. Über den Namen war als Titel zu lesen: "Motherfuckers never die".

Die hoffnungsvolle Botschaft des eher banalen Werks, für das Castro vergleichsweise bescheidene 12.000 Euro wollte: Auch wenn alles zusammenbricht - die Idioten kaufen weiter.

Ob der Peruaner einen Idioten für seine Glasplatten gefunden hat, ist nicht bekannt. Tatsache ist, dass die Szene in London angesichts der seit Wochen schwelenden Finanzkrise verunsichert war, worüber auch die üblichen selbstaffirmativen Gesten auf der Messe - Preise rauf, Promis rein - nicht hinwegtäuschten.

Teure Werke blieben häufiger liegen, und die Szene stellte bange Fragen: Ist der Hype vorbei, die Millionenparty zu Ende? Bleiben nun die Russen weg?

Andere übten sich in Optimismus: Ist Kunst nicht gerade dann sicher, wenn andere Anlagen unsicher werden, ist Kunst das neue Gold? Und hat der Brite Damien Hirst nicht ein Zeichen gesetzt, als er am Tag der Lehman-Pleite auf einer Auktion die Rekordsumme von 143 Millionen Euro erzielte?

Wie der Markt sich auch entwickelt, ob er boomt oder kriselt, spielt für die meisten Künstler allerdings keine Rolle.

Vom Erfolg der fetten Jahre, in denen Sammler hysterisch jede Summe für ihnen bis dato unbekannte Werke zahlten, hat nur ein kleiner Kreis von Auserwählten profitiert, alle Übrigen halten sich weiterhin mit Nebenjobs und Sozialhilfe über Wasser.

Sie dürfen höchstens davon träumen, einmal vom eigenen Schaffen leben zu können. Sechs junge deutsche Künstler haben sich für die Süddeutsche Zeitung selbst porträtiert - und aus ihrem nicht immer leichten Alltag erzählt.

"Ich möchte einmal von meiner Kunst leben"

Grazyna Zarebska, 28, Weißensee Kunsthochschule Berlin: "Ich habe von den Gerüchten gehört, dass Künstlerinnen mit Kindern geringere Chancen haben. Ganz ehrlich, Galeristen interessieren sich nicht mehr und nicht weniger für mich, seit ich Mutter bin. Natürlich möchte ich irgendwann von meiner Kunst leben und arbeite ehrgeizig an meiner Karriere. Im Moment finanziere ich mich aber noch über Hartz IV, Kindergeld und Nebenjobs.

Ich war Eisverkäuferin und habe als Nachtwache in einer psychotherapeutischen Wohngemeinschaft gearbeitet. Wenn ich mehr Geld hätte, könnte ich teure Leinwände und Farben kaufen. Qualitativ hochwertige Materialien sind ausschlaggebend, wenn man nicht berühmt ist und es keine Strömung gibt, anhand derer Sammler den Wert der Kunst einschätzen können.

Ich brauche zurzeit auch viel Ruhe, weil ich bald mein zweites Kind bekomme. Früher habe ich manchmal nachts gemalt, das geht als Mutter nicht mehr. Ich teile mir meine Arbeitszeit viel besser ein und muss meine Ideen immer sofort umsetzen.

Ich habe mittlerweile auch gelernt, aus den Fußabdrücken meines Sohnes auf meinen Leinwänden Ideen zu entwickeln."

Grazyna Zarebska arbeitet als Malerin in Berlin. Zuletzt hat sie ihre Ölgemälde und Kollagen auf der Berliner Kunstmesse Kunstsalon und in der Berliner Galerie Emma T. ausgestellt.

Protokolle: Alexandra Eul/SZ vom 22.10.2008 Fotos: oh

Frederick Vidal

Quelle: SZ

2 / 6

"Ich habe jeden Abend Angst vorm Scheitern"

Frederick Vidal, 31, Kunsthochschule Kassel: "Kürzlich habe ich eines meiner großformatigen Bilder für 4000 Euro verkauft. Seitdem frage ich mich, ob ich in dem Moment, als das Sammlerpärchen auf mich zukam, einfach nur großes Glück hatte.

Natürlich kann ich von dem Verkauf nicht leben, ich habe zurzeit nicht einmal Geld, um mir ein eigenes Atelier einzurichten. Meine Eltern unterstützen mich deshalb auch noch finanziell.

Manchmal fotografiere ich nebenbei für den Bestellkatalog eines Modevertriebs. Das hat nicht viel mit Kunst, sondern eher mit Baumwolle zu tun. Klar, als Auftragsfotograf habe ich ein sicheres Standbein. Aber nur noch solche Jobs anzunehmen, das ist wie ein Geständnis, dass man als Künstler gescheitert ist.

Ich möchte nicht ohne diese spielerische Aufregung leben, die ich empfinde, wenn ich meine eigenen Ideen entwickle. Wegen dieses Gefühls bin ich schließlich Künstler geworden.

Trotzdem nehme ich die Angst vor dem Scheitern abends mit ins Bett. Schlimm fände ich es, auf Kunstpartys nur noch mit Menschen zur reden, die sich für meine Arbeit interessieren, weil sie hipp sein wollen. Dabei hat mir jemand gesagt: Das meiste wirst du zwischen 22 Uhr und drei Uhr morgens verkaufen."

Frederick Vidal arbeitet als Kunstfotograf im Bereich der analogen Fotografie. Zuletzt hat er die Kloake in einem Klärwerk fotografiert. Zwei der abstrakten Bilder sind derzeit in der Galerie Reckermann in Köln zu sehen.

Werk von Daniel Sabranski

Quelle: SZ

3 / 6

"Man kann sich seinen Ruf sehr schnell ruinieren"

Daniel Sabranski, 31, Universität der Künste Berlin: "Ich gehe nicht mehr auf hippe Galerieeröffnungen in Berlin. Erstens trinke ich kein Bier. Zweitens ist es mir zu stressig geworden. Es geht immer nur um den großen Durchbruch, weniger um die Qualität der Ausstellungsstücke.

Netzwerke mit Galeristen, Sammlern und Kuratoren aufzubauen, ist wirklich schwierig. Vor kurzem hat mich ein potentieller Interessent angesprochen, ohne sich vorzustellen. 'Wo ist Ihre nächste Ausstellung?', war seine einzige Frage. Als ich darauf keine Antwort hatte, hat er sich mit dem Satz 'Informieren Sie mich!', gleich wieder verabschiedet. Komisch, dass man sich nicht in Ruhe unterhalten kann.

Ich muss genau auswählen, mit wem ich zusammenarbeite. Wenn bekannt ist, dass es einer Galerie nur ums Verkaufen und nicht um die Auseinandersetzung mit den Arbeiten geht, kann man sich seinen Ruf sehr schnell ruinieren. Diese Positionierung ist so wichtig, weil sie eine Kettenreaktion auslöst: Wenn sich einmal die richtige Person für einen Künstler interessiert, interessieren sich plötzlich alle für ihn.

Im Moment lebe ich noch von meinem Nebenjob als Bürohilfe in einer Softwarefirma. Außerdem bin ich nach Nürnberg gezogen. Hier gibt es zwar nicht so viele Galerien wie in Berlin, aber dafür kann ich mich auf meine Arbeit konzentrieren."

Daniel Sabranski arbeitet im Bereich der analogen Fotografie und Videokunst. Derzeit sind seine Arbeiten bei der Sammlung J+C Mairet in Berlin zu sehen. Im kommenden Jahr wird er in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn ausstellen.

Werk von Almut Grypstra

Quelle: SZ

4 / 6

"Warum hast du nicht Medizin studiert?"

Almut Grypstra, 30, Hochschule für bildende Künste Hamburg: "Bei Ausstellungen zahle ich meistens die Transport- und Materialkosten selber. Das Geld, das ich durch die Ausstellungen verdiene, gebe ich also direkt wieder für Kunst aus.

Meine größte Sorge ist, dass ich mich irgendwann nicht mehr traue, als Künstlerin zu arbeiten, weil sich kein materieller Erfolg einstellt. Im Moment lebe ich vor allem von dem Geld, das ich während meines Nebenjobs als Museumspädagogin und als Leiterin von Kunstkursen gespart habe.

Natürlich habe ich mich oft gefragt: Warum hast du nicht Medizin studiert? Aber ich bekomme viele positive Reaktionen auf meine Werke und unterhalte mich gerne mit Sammlern und Galeristen.

Leider sind meine Werke so groß, dass sie oft nicht gekauft werden. Ich habe überlegt, ob ich anfangen soll, mehr wohnzimmerkompatible Kunst zu produzieren, habe mich aber dagegen entschieden.

Mir ist die Arbeit an sperrigen Skulpturen wichtiger, als aktuelle Vorlieben zu bedienen."

Almut Grypstra arbeitet als Installationskünstlerin in Hamburg. Zuletzt wurde eines ihrer Exponate vom Altonaer Museum gekauft. Sie hat eine Ausschreibung für Kunst im öffentlichen Raum des Kunstvereins Allermöhe gewonnen.

Werk von Heike Jobst

Quelle: SZ

5 / 6

"Der Hype findet fernab der Realität statt"

Heike Jobst, 26, Akademie der Bildenden Künste München: "Wenn ich in Zeitungen über den boomenden Kunstmarkt gelesen habe, stellte sich bei mir immer Ratlosigkeit ein.

Die Auswahl der Kunst, die für viel Geld verkauft wird, ist so willkürlich. Besonders, weil viele Dinge, die hoch gehandelt werden, so sinnentleert wirken. Man sieht den Kunstwerken an, dass sie besonders auffällig sind, weil sie sich dann gut verkaufen lassen.

Ich sehe Kunst eher als Forschung und will an einem Thema länger arbeiten. Mir hat deshalb ein Künstler geraten, dass sich jeder, der nicht zu den wenigen Shootingstars der Szene gehört, einen interessanten Nebenjob suchen soll, um aus dieser Arbeit zu schöpfen.

Ich verdiene mein Geld heute nicht mit meinen Werken, sondern arbeite in einem Kulturhaus. Das Dasein als Kunststar ist mir fremd. Der Hype um den Kunstmarkt findet fernab jeder Realität in Glamourmagazinen statt. "

Heike Jobst ist Videokünstlerin und Zeichnerin in München. Zuletzt zeigte sie ihre Arbeiten auf der Jahresausstellung ihrer Akademie und in Kopenhagen.

Werk von Robert Seidel

Quelle: SZ

6 / 6

"Ich lebe erst einmal von Hartz IV"

Robert Seidel, 25, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig: "Als ich mit meinem Studium begonnen habe, hat unser Direktor gesagt: Nur drei Prozent von euch werden von der Kunst leben können.

Aber Galerien wissen schon, wie sie Künstler zu Größen machen, ich muss nur die nötige Ausdauer haben. Einige meiner Kommilitonen sind schon jetzt sehr gefragt.

Bei den meisten Künstlern dauert es jedoch viel länger, bis sie Erfolg haben. Ich verkaufe zurzeit noch wenig und lebe erst einmal von Hartz IV.

Natürlich ist es von Vorteil, dass ich in der Klasse von Neo Rauch studiert habe. Aber der riesige Hype um die 'Neue Leipziger Schule' ist mittlerweile leicht abgeflaut.

Das ist ein ganz banaler Prozess: Für einen bestimmten Zeitraum waren alle ganz verrückt nach figürlicher Malerei, und jetzt stürzen sie sich auf etwas anderes. Menschen wollen schließlich auch nicht jeden Tag das Gleiche essen. Ich glaube, dass in Leipzig gerade Fotografie im Kommen ist."

Robert Seidel lebt als Maler in Leipzig. Zuletzt hat er sich mit seinem Heimatort Grimma beschäftigt und diese Bilder in der Galerie "dieschönestadt" in Halle/Saale ausgestellt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: