Kühle Bestattung:Es gibt ein Leben bis zum Tod

Sie schlafen nur - wenn auch bei minus 140 Grad. So sagt man hier. Man nennt sie Patienten, aber sie sind mausetot. Der amerikanische Architekt Stephen Valentine baut ein "Wohnhaus" für 50000 tiefgefrorene Tote. Die außer ihrem Tod auch noch 140000 Dollar Ruhegebühr mitbringen müssen.

JÖRG HÄNTZSCHEL

Wenn der New Yorker Architekt Stephen Valentine auf der Suche nach einem Bauplatz für sein Projekt in einer Kleinstadt aus dem Flugzeug steigt, wartet oft schon ein Hubschrauber mit laufendem Rotor auf der Rollbahn.

Kühle Bestattung: Bis vor einigen Jahren war Valentine ein ganz normaler Architekt. Er zeichnete am New Yorker Trump Tower mit und war im Büro von I. M. Pei am Entwurf für das Washingtoner Holocaust-Museum beteiligt.

Bis vor einigen Jahren war Valentine ein ganz normaler Architekt. Er zeichnete am New Yorker Trump Tower mit und war im Büro von I. M. Pei am Entwurf für das Washingtoner Holocaust-Museum beteiligt.

(Foto: http://timeship.org/)

"Ich werde behandelt wie ein Präsidentschaftskandidat." Die Gouverneure und Bürgermeister, die ihn empfangen, halten ihn für den Scout eines Biotech-Konzerns, der eine Niederlassung in ihrer Gegend plant.

Doch auch das stimmt nicht. Valentine sucht nach dem Ort für ein High-Tech-Mausoleum, in dem 50000 Tote auf ihre Wiederbelebung warten können. Bis vor einigen Jahren war Valentine ein ganz normaler Architekt. Er zeichnete am New Yorker Trump Tower mit und war im Büro von I. M. Pei am Entwurf für das Washingtoner Holocaust-Museum beteiligt.

Dann lernte er Saul Kent kennen, den Besitzer der Firma Life Extension Foundation. Kent hatte seit langem nach Wegen zur menschlichen Unsterblichkeit gesucht. Doch weil die den heute Lebenden verwehrt bleiben wird, galt es, zumindest Zeit zu gewinnen.

Er beauftragte Valentine, ein Gebäude zu entwerfen, in dem sich Leichen über Jahrzehnte oder Jahrhunderte lagern lassen, bis sie reanimiert und zu den Lebenden zurückbefördert werden können.

Die Vorstellung vom mirakulösen Aufwachen aus dem Tod ist so alt wie die Menschheit. Schneewittchen schlief mindestens einhundert Jahre, dann schlug sie die Augen wieder auf. Und seit der Mensch zum ersten Mal ein unbeschädigtes Huhn aus dem Tiefkühlfach nahm, schien dieser Traum für uns alle in greifbare Nähe gerückt. Blieb nur der zweite Schritt: die Reanimation, die bislang nur in Science-Fiction-Filmen von Woody Allens "Schläfer" bis zu "Vanilla Sky" gelang.

Schon Walt Disney und Salvador Dali begeisterten sich für das "Kryonik" genannte Einfrieren, auch wenn sie sich am Ende für konventionelles Sterben entschieden. Schon heute jedoch liegen etliche Optimisten in flüssigem Stickstoff und warten.

Doch so unproblematisch wie gedacht, war das Einfrieren bisher nicht. Die meisten Zellen werden durch die Ausdehnung des Wassers irreparabel zerstört.

Erst 2001 wurde mit der "Vitrifikation" ein Verfahren zum eisfreien Gefrieren erfunden. Der größte Teil des Wassers im Körper wird dabei im Moment des Todes durch eine Lösung namens "Supercool" ersetzt. So bleiben die Zellen intakt. Auch für das Reanimieren gibt es Hoffnung: Molekülgroße Nanoroboter sollen den Körper von innen reparieren. Vielleicht wird der jedoch gar nicht mehr gebraucht.

Wer nicht 140000 Dollar für die Einlagerung bezahlen will, kann in Valentines Gruft für 60000 auch nur seinen Kopf und damit seine gesammelten Erinnerungen einfrieren lassen.

Die ordinäre Körper-Hardware dieser "Neuros" wird sich, so Valentine, bis dahin schon rekonstruieren lassen.

Für Kent waren diese Entwicklungen vielversprechend genug, um Valentine für sein Kryonik-Center, das auch ausgestorbenen Arten und Haustieren Platz bieten soll, das Startsignal zu geben. "Timeship" nannte der das Projekt. "Sie kennen den berühmten Satz aus Star Trek: Space is the final frontier. Ich glaube aber, es ist die Zeit."

Bisher lagern eingefrorene "Patienten" meist in Lagerhäusern an der Autobahn. Die Gebäude sind nicht nur alles andere als sicher, sondern auch äußerst trostlos.

Wer wollte dort gefroren sein? Um die "Suspendierung" von Toten seriös und profitabel zu betreiben, muss man etwas mehr bieten.

Valentines Aufgabe ist es, ein Gebäude zu bauen, in dem die Toten mindestens 100 Jahre lang vor ihrer turbulenten Umwelt sicher sind. Zur Zeit der Kathedralen mag das keine allzu lange Zeitspanne gewesen sein. Heute ist es eine Ewigkeit.

Selbst Museen oder Regierungsbunker sind nur für zwei, drei Jahrzehnte konzipiert. Irgendwann korrodieren die Leitungen, der Beton wird spröde, der Regen arbeitet sich durchs Dach. Auch erdbebensichere Gebäude überstehen Erdbeben nicht unbeschädigt. Der Bau eines Hauses ist nur der Beginn eines unendlichen Ausbesserns und Reparierens. Für die tiefgefrorenen Toten wären derlei bauliche Defekte - tödlich.

Am leichtesten lässt sich die Lebensdauer eines Gebäudes durch seinen Ort verlängern. Nach diesem idealen Bauplatz sucht Valentine seit drei Jahren. Begonnen hat er mit Landkarten der Negativfaktoren. Alle Gebiete, die durch Erdbeben, Hurricanes, Tornados, Überschwemmungen und abrutschende Gletscher gefährdet sind, schieden aus.

Und das sind nur die natürlichen Faktoren. Valentine zeichnete breite Korridore entlang der Grenzen zu Kanada und Mexiko. Er zog Kreise um Atomkraftwerke und Chemiefabriken, Highways, Brücken, Flughäfen und große Städte, die Angriffsziele für Krieg und Terror darstellen. Was am Ende übrig blieb, will er um keinen Preis verraten. "Das ist top secret. Nicht einmal das Pentagon hat solche Studien angestellt." Nur so viel verrät er: Der ideale Ort für das Timeship liegt irgendwo in der Südhälfte der USA.

Das zweite Kriterium ist landschaftliche Schönheit. Dass dem eingefrorenen Menschen in seinem Metalltank die Aussicht herzlich egal sein dürfte, lässt Valentine nicht gelten: "Im Mittelalter hat man Friedhöfe schließlich auch auf Hügeln gebaut. Wollen Sie etwa 100 Jahre in Queens an der Autobahn liegen?"

Am liebsten hätte Valentine in der Toskana gebaut, doch die politische Zukunft erschien ihm zu ungewiss.

Das Haus für die Toten ist in Wahrheit ein Haus für die Lebenden: Für die Kunden in spe, die ihre zukünftige Lagerstätte besichtigen, und für die Angehörigen, die im Besucherzentrum ihrer Lieben gedenken.

Das Timeship hat nicht nur ein technisches Problem zu lösen, sondern auch ein kulturelles und ästhetisches. Wenn Valentine nämlich die schematischen Darstellungen der Leichen in ihren minus 140 Grad kalten Lagerwaben präsentiert, fröstelt einen doch ein wenig.

Jeweils acht Körper strecken stehend Nasen und Bäuche voneinander weg. Zwischen ihnen sind noch stapelweise Neuros untergebracht. Acht dieser "families" genannten Untereinheiten bilden "neighbourhoods", die ihrerseits der "community" des Timeship angehören.

Wenn die wenig erbauliche Vitrifikation jemals profitabel sein soll, so Valentines Kalkül, dann muss sie erscheinen wie eine bloße Variante der Bestattung, und ihr Ort so würdevoll wie ein Friedhof.

"Inspirational" soll deshalb nicht nur der Ort sein, sondern auch das Gebäude selbst. Tropfen, Blüte, Erdkugel: Valentine suchte nach einer Art transkultureller Urform, die die Idee von Leben und Permanenz am besten verkörpert.

Die Mandala, der Kreis mit dem Quadrat darin, erschien ihm am geeignetsten. Runde Wälle halten Eindringlinge ab, vier Türme dienen als Aussichtsposten.

Und in der Mitte thront eine Phönixfigur über der verspiegelten Glasplaza, unter der die Leichen liegen.

Darüber soll Wasser zu einer künstlichen Wolke zerstäubt werden - als Metapher für den Himmel, in den diese Menschen nicht wollen. Valentine träumt schon von einem neuen Silicon Valley rund um das Timeshipl. Wie all die Reanimierten auf der übervölkerten Erde unterbringen soll, ist seine kleinste Sorge: "Bis dahin lebt der Mensch ohnehin im Weltall."

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