Kubas Mystik in Bildern:Unter wilden Göttern

Der Blick des Eingeweihten: Anthony Caronias Fotoband "Afro-Cuba" fängt Mystik und Magie der Religion auf Kuba so ein, wie sie Touristen nur selten zu sehen bekommen.

Jonathan Fischer

Alle paar Monate erscheint ein neuer Fotoband mit dem Anspruch, den so malerisch ruinösen wie magisch aufgeladenen Alltag der Kubaner einzufangen. Und fast immer spielt dabei die afro-kubanische Religion eine Rolle - prägen doch die Orishas, jene Repräsentanten afrikanischer Götter, die vor vielen Jahrhunderten mit den Arbeitssklaven für die Zuckerplantagen hier landeten, bis heute den Alltag der Inselbewohner.

Anthony Caronia: Afro-Cuba

Anthony Caronias Aufnahmen verraten den Blick des Eingeweihten - wie hier auf einen Tanz der Einheimischen.

Der in Italien geborene Fotograf Anthony Caronia fokussiert nun die mit diesem Kult verbundenen Rituale in einem großformatigen Schwarzweiß-Band. "Dies ist eine fotografische Darstellung von Glauben und Mut", erklärt er im Vorwort zu "Afro-Cuba. Mystik und Magie der afro-kubanischen Religion". Da die religiösen Rituale auf Kuba kaum getrennt vom restlichen Leben in Wohnungen, auf Hinterhöfen und manchmal gar auf der Straße stattfinden, begegnen selbst flüchtigen Besuchern hier überall Zeichen dieser Kulte: Hausaltäre, ganz in Weiß gekleidete Initiationskandidaten, nächtliche Trommeln und Gesänge. Die meisten Bücher über Kuba behandeln diese Phänomene mit einem touristischen Unterton und stellen die Rituale als Exotismen zur Schau.

Ganz anders Anthony Caronia: Er hat die Fotos aus dem tiefsten Inneren eines Palero, eines Anhängers dieser afro-kubanischen Religion, gemacht - und gibt dem Betrachter das Gefühl eines Eindringlings in eine Welt, zu der er ansonsten keinen Zugang hätte. Die Bilder verraten den Blick des Eingeweihten: Altäre, Opfergaben, Besessenheit, Tänze, Initiations- und Reinigungsrituale, eingefangen in Schwarzweiß-Fotos, die bei aller Bewegung und offensichtlichen Emotionalität etwas Intimes ausstrahlen: "Keine einzige Fotografie", behauptet Caronia, "wurde ohne die Zustimmung der Orishas gemacht".

Der Fotograf lässt uns dabei auch an seiner eigenen spirituellen Reise teilhaben. Dass auf der Karibikinsel die Religion keine Diskriminierung nach Hautfarben kennt, eröffnete ihm ungeahnte Möglichkeiten. So schloss er sich, einer persönlichen Offenbarung folgend, vier Jahre lang einem Padrino oder Paten an, ließ sich nach und nach in die Rituale des Kultes Palo Mayombe einführen und wurde zum geweihten Palero. Seine Fotos entstanden zu einem Zeitpunkt, als er das volle Vertrauen seines Padrino gewonnen hatte - sein Blick aber auch schon ernüchtert war: "Im Grunde wollte ich sehen, wie Wunder geschehen. Und ich brauchte etliche Frustrationserlebnisse, bis ich lernte, dass ich Orishas nicht sehen musste, sondern nur fühlen."

Auch wenn die Bilder das rituelle Schlachten von Tieren oder die Gesichter von Besessenen zeigen, wirken sie kaum je theatralisch oder dekorativ. Vielmehr veranschaulichen sie den instrumentellen Charakter dieser Volksreligion, die sich nicht an ein unerreichbares Jenseits wendet, sondern die Orishas für die Bewältigung der Lebenswirklichkeit um Hilfe anruft - und dabei Regeln und Rituale dem Alltag pragmatisch anpasst. Dass Caronia kritische Worte für den Machtmissbrauch mancher Padrinos findet, tut der Intensität seiner Bilderzählung keinen Abbruch: Am Ende wirft die Entschlossenheit, als Europäer gleichzeitig Beobachter und Beteiligter der afro-kubanischen Religion zu sein, grundsätzliche Fragen auf: nach der Adaption fremder Wurzeln, der eigenen Identität und der Anziehungskraft einer Religion, die keine Trennung zwischen sakral und weltlich kennt.

ANTHONY CARONIA: Afro-Cuba. Mystik und Magie der afro-kubanischen Religion. Benteli Verlag, Zürich 2010, 159 Seiten, 39 Euro.

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