Kritik:Zart besaitet

Das Quatuor Ebène kommt erstmals mit neuem Bratscher

Von MICHAEL STALLKNECHT

Es rumpelt. Nicht viel natürlich, schließlich ist es das Quatuor Ebène, das hier Joseph Haydns Streichquartett Op. 20, 2 spielt, eine der besten Formationen der Welt und in München seit dem Sieg im ARD-Wettbewerb 2004 wohl die beliebteste. Im Herkulessaal herrscht hingebungsvolle Stille, während sich auf dem Podium kleinste rhythmische Unstimmigkeiten einschleichen. Liegt es am neuen Bratscher, mit dem das Quartett nun erstmals in München auftritt? Jedenfalls klingt dieser Haydn noch nicht ganz frei. Man merkt dem Stück, positiv wie negativ, an, wie genau durchdacht das alles ist, wie sehr die Ebènes auf ihren Proben um die Form eines Werks ringen.

Seit Jahresbeginn spielen Pierre Colombet (erster Geiger), Gabriel Le Magadure (zweiter) und Raphaël Merlin (Cello) gemeinsam mit Adrien Boisseau statt mit Mathieu Herzog. Das Ebène war nie, wie manche andere Quartette, von einem enorm starken Primgeiger geprägt. Eher erscheinen die Vier gleichberechtigt, was die Einzelstimme umso wichtiger macht. Herzog, der nun einer Dirigentenkarriere den Vorzug gibt, war für einen Bratscher auffallend charismatisch, ein schon optisch sehr fleischlicher, klanglich sinnlicher Typ. Boisseau fügt sich in jeder Hinsicht mehr ein in die Riege der zarter besaiteten Jungs um ihn herum, weshalb das Klangbild nun noch ein bisschen filigraner wirkt, im letzten Satz von Haydns Quartett aber deshalb auch ein bisschen zu neckisch. "Ainsi La Nuit", das einzige Streichquartett von Henri Dutilleux (1916 - 2013), scheint dagegen wie für solche Stärken komponiert zu sein, eine Folge von nächtlichen Etüden, ein Erinnerungsgespinst, wie im Traum verwehend. Die Ebènes beweisen da eine enorme Reaktionsschnelligkeit, mit der sie nicht nur ungewöhnliche Spieltechniken wie selbstverständlich einbinden, sondern auch den Klang dabei noch in jedem Moment biegsam halten.

Daraus entsteht dann eine Kunst des kleinsten Übergangs, die zum Schluss des Abends den berühmten Mittelsatz von Ludwig van Beethovens Opus 132 zum echten Ereignis werden lässt. Die Ebènes nehmen den "Heiligen Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" noch viel langsamer als meistens riskiert, um jeden einzelnen Akkord für sich ausleuchten zu können. Schon dass der Satz dabei nicht zerfällt, bezeugt die formale Dispositionskraft des Ensembles. Aber wie in einem Brennspiegel ahnt man daran auch die Veränderung, die das Quartett vielleicht gerade durchläuft.

An der alten Besetzung überzeugte oft gerade die dynamische Bandbreite zwischen Zartheit und manchmal fast bewusst roher Kraft. Letztere hört man an diesem Abend seltener, auch bei Beethoven könnte man sich durchaus heftigere Kontraste, größere Pendelausschläge vorstellen. Dafür ist in diesem langsamen Satz ein wahrscheinlich unübertreffliches Maß an Differenzierungskunst im Pianobereich erreicht. Vielleicht ist das Ebène also homogener geworden, im Positiven wie im Negativen. Aber solche ersten Eindrücke müssen sich erst in den folgenden Konzerten bestätigen.

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