Kritik:Tränen für Millionen

Stadionband in spe: "Glass Animals" im Muffatwerk

Von Stefan Sommer

Beim Ringen um Bedeutung ist im Pop auch die Körpersprache nicht frei von Phrasen: Der Sänger der Band Glass Animals, David Algernon Bayley, mimt mit dem Zeigefinger seine Wange hinab gleitende Tränen, reißt sich mit Wut auf das Stichwort "Heart" das Herz aus dem Popstar-Leib und zeigt bei einem "You" wie ein um den Recall-Zettel kämpfender DSDS-Kandidat ins Publikum der Muffathalle. Das von Adeles Produzent Paul Epworth entdeckte Quartett aus Oxford führt in der Muffathalle vor, was Stadionrock im Jahr 2017 bedeutet und warum bei einer Rückkehr nach München nur das Olympiastadion in Betracht kommen wird.

Mit Auftritten auf den populärsten Festivals der Welt wie Glastonbury oder Coachella und Internet-Klickzahlen in dreistelliger Millionenhöhe avancierten die Glass Animals in den vergangenen Jahren zum feuchten Traum jedes Unterhaltungskon-zernchefs. Denn der zeitgeistige, elektronische Sound, der Marimba-Klänge, tropische Rhythmen und Ed-Sheeran-Refrains kombiniert, erinnert zwar an die Fragilität und Schönheit der Song-Konstrukte von Bands wie Alt-J oder Sohn, schafft es jedoch, auch ein Massen-Publikum mit Bombast und You-only-live-once-Romantik hinter sich zu scharen. Die Hit-Formel von Produzent Paul Epworth, die schon Coldplay oder U2 den Durchbruch in den USA verschaffte, glättet und verdichtet Songs wie "Life Itself" zu potenziellen Top-40-Nummern - wie ein US-Remake einen europäischen Arthouse-Film.

Stücke wie "Hazey" oder "Gooey", die auf Platte gemacht dafür scheinen, um als Soundtrack für eine hippe Werbekampagne ein urbanes Lebensgefühl und einen Mobilfunkvertrag an kaufkräftige Millennials zu bringen, überzeugen live jedoch durch ihre Wucht. Die präzise und perfekt eingespielte Band vermag es, die auf den beiden Alben "ZABA" und "How To Be A Human Being" sehr clean wirkenden Hits mit einer immensen Kraft und Direktheit auf die Bühne zu bringen. Leider sind die Posen-Phrasen David Bayleys dabei eher für die Aufführung einer griechischen Tragödie in einem weiten Amphitheater gemacht - oder eben für einen Auftritt im Olympiastadion.

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