Kritik:Leuchtende Renaissance

Die "Stimmwercktage" präsentieren Michael Praetorius

Von Egbert Tholl, Adlersberg

Wenn man aus der falschen Tür heraustritt, schaut einen ein Pferd an. Das Pferd ist respektheischend groß, es ist nicht allein, sein Compagnon hebt den Kopf, schaut einen lange an und beginnt dann langsam, auf den, der da durch die falsche Tür trat, zuzutraben. Vielleicht, denkt man sich da, hätte man in der Menge aufgehen, die sich nach Ende des Konzerts sehr bedächtig gen Ausgang schob, und nicht die schnelle Flucht an die frische Luft suchen sollen. Aber die beiden Pferde sind sehr lieb, sie nähern sich gerade so weit, dass sie erkennen können, ob der, der nun dumm vor ihnen steht, etwas zu bieten haben könnte oder nicht. Hat er nichts, kümmern sie sich nicht weiter darum. Dass in ihren Gefilden Menschen herumstehen, die nicht hundertprozentig zurechnungsfähig sind, weil ihre Gedanken noch in ganz anderen Welten hängen, sind die Pferde gewohnt. Sie wohnen auf dem Adlersberg.

Wenn es so richtig heiß ist, finden dort die "Stimmwercktage" statt. Die sind eine Tradition seit 2005 und heißen "Stimmwercktage", weil dort das Ensemble Stimmwerck singt. Dieses gründete sich 2001 in München und besteht aus den Tenören Gerhard Hölzle und Klaus Wenk, dem Bassbariton Marcus Schmidl und dem Kontratenor Franz Vitzthum. Zusammen singen sie vor allem, aber nicht nur, Musik der Renaissance, also vorbarocke, noch kaum durch ein instrumentales Gerüst gestützte Musik. Sie singen Geistliches und auch sehr Weltliches - in jedem Jahr, in dem man die "Stimmwercktage" besucht, kann man Musik hören, von deren Existenz man zuvor nichts wusste. Man kann diese Musik auch teilweise auf den hervorragenden CDs des Ensembles nachhören.

Die Entdeckung für dieses Jahr ist Michael Praetorius. Für die Stimmwercker ist dessen Existenz eine Selbstverständlichkeit, sie liehen sich einst ihren Namen von ihm. In seinem theoretischen Lehrwerk "Syntagma Musicum" beschreibt Praetorius als "Stimmwerck" eine Gruppe gleicher Instrumente oder auch das, was man später Akkord nannte. Das passt sehr gut, denn wenn die Vier zusammen singen, glaubt man wirklich, einen Akkord zu hören, einen leuchtenden, vielgestaltigen, ungemein homogenen Zusammenklang.

Praetorius war unter anderem Hofkapellmeister in Wolfenbüttel, verfasste eine Sammlung von 300 Tanzsätzen, eine mit Kantionalsätzen von 450 Kirchenliedern, er schrieb Motetten, Präludien, Orgelvariationen und kam nie nach Italien, das Land, in dem zu der Zeit, in der er lebte, die Musik gerade neu erfunden wurde. Doch er kam bis nach Regensburg, in dessen Nähe der herrliche Kirchenwirtshaushügel Adlersberg liegt, das ist ja fast schon Italien. Dort, in Regensburg, wurde beim Reichstag 1603 auch seine Motette "Nunc dimittis" aufgeführt. Die gibt es nun auch beim letzten Konzert der "Stimmwercktage" zu hören. Dabei kann man wunderbar Musikentwicklung mitverfolgen: Vokalpolyfonie trifft auf heranbrechendes Generalbassgerüst, ungemein kompliziert, dann wieder erhaben schlicht. Im Konzert, das die ehrenamtlich agierenden Stimmwercker mit Gastmusikern, Lesungen, einer Werkstatt und einem Symposium ergänzen, stellen sie Praetorius die heilige Einfalt Arvo Pärts gegenüber - die Entwicklung geht bis zur Gegenwart.

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