Kritik:Kotzen auf Kokoschka

"Der Gott des Gemetzels" im Fraunhofer - großes Vergnügen

Von Petra Hallmayer

Eigentlich sollte dies ja eine versöhnliche Aussprache unter Erwachsenen werden. Schließlich lautet das Credo der braven gebildeten Mittelschichtler, dass man über alles vernünftig reden kann. Darum haben Véronique (Monica Anna Cammerlander) und Michel (Dirk Warme) die Eltern von Ferdinand, der ihrem Sohn Bruno zwei Zähne ausgeschlagen hat, zu sich eingeladen. Nun sitzen die Vier auf der knallrot möblierten Bühne beisammen, um die Angelegenheit pädagogisch korrekt zu regeln.

Wobei Annette (Johanna Withalm) und Alain (Hendrik Winkler) den "bestialischen Akt" ihres Kindes insgeheim für so tragisch gar nicht halten. Eine Zeitlang gelingt es allen noch, Höflichkeiten auszutauschen und verbale Ausrutscher mit Beschwichtigungen abzufedern, doch unaufhaltsam schlittern sie keifend, kreischend und plärrend in eine wüste Wohnzimmerschlacht, die die Verlogenheit aggressionsfreier Selbstbilder und Erziehungsmaximen moderner Wohlstandsbürger bloßlegt. Mit der von Roman Polanski verfilmten Komödie "Der Gott des Gemetzels", mit der das österreichische Theater Scala in München gastiert, gelang Yasmina Reza einer ihrer größten Bühnenerfolge.

Rüdiger Hentzschels Inszenierung beginnt etwas verhalten. Es dauert eine Weile, bis die Gesellschaftssatire im Theater im Fraunhofer in Schwung kommt, doch zunehmend gelingt es den Akteuren, die Komik des Textes mit Spielwitz zu unterstreichen. Je höher der Alkoholpegel, desto niedriger die Hemmschwellen und desto lustiger der Abend. Bald schon brechen die Glücksfassaden der Elternpaare zusammen. Die Prügelei zweier elfjähriger Schuljungen bringt die Erwachsenen dazu, ihre Contenance zu verlieren und sämtliche Benimmregeln zu missachten. Die kunstsinnige Predigerin zivilisierter Selbstdisziplinierung Véronique schlägt wie ein Furie auf Michel ein. Die Männer verbünden sich gegen das Verhaltensdiktat ihrer Frauen. Die liebe, adrette Annette kotzt auf einen Kokoschka-Katalog, ruiniert den Teppich und ertränkt das Handy ihres dauertelefonierenden Anwaltsgatten, der schamfrei zynisch die Opfer eines Pharmaskandals zu linken versucht, in einer Blumenvase.

Die Würgeorgie, die einst Sunnyi Melles im Residenztheater vorführte, lässt sich natürlich nicht toppen. Aber es wäre unfair, diese Off-Theater-Produktion mit großen Häusern zu vergleichen. Zuzuschauen, wie das souverän agierende Quartett übereinander herfällt, macht Spaß. Das Gastspiel aus Wien demonstriert einmal mehr, wie phantastisch Reza die Kunst der intelligenten Boulevardkomödie beherrscht (noch bis Samstag).

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