Kritik:Harter Knochen

Kritik: Da klappt es schon nicht mehr so recht mit der Begierde: Paolo Pierobon und Anna Della Rosa im Clinch auf harter Bühnenkohle.

Da klappt es schon nicht mehr so recht mit der Begierde: Paolo Pierobon und Anna Della Rosa im Clinch auf harter Bühnenkohle.

(Foto: Andrea Macchia)

Martin Kušejs "Geächtet"-Inszenierung aus Turin

Von Egbert Tholl

Es passiert sehr selten, dass man an einem Theater zwei Inszenierungen ein und desselben Stücks erleben kann. Noch dazu zwei, die völlig unterschiedlich sind. Vor zwei Jahren kam am Residenztheater Antoine Uitdehaags Inszenierung von "Geächtet" heraus, nun war Martin Kušejs Interpretation des selben Textes im Cuvilliéstheater zu Gast. Die entstand am Teatro Stabile in Turin und heißt mithin "Discrimini", weil sie auf Italienisch ist.

Ayad Akhtar gewann mit "Geächtet" 2013 den Pulitzer-Preis, drei Jahre später hielt es eine Mehrheit der von der Zeitschrift "Theater heute" Befragten für das beste ausländische Stück des Jahres. Zu Recht, denn Akhtar, geboren 1970 als Sohn pakistanischer Einwanderer in New York, gelingt hier das Kunststück, in der Struktur eines Well-made-Plays eine ziemlich brillante Debatte über Identität, Integration und Ressentiments zu führen. Sehr, sehr überspitzt gesagt zeigt Uitdehaag das gut gebaute Stück einer doppelten Eheschlacht, Kušej die Debatte.

Amir, erfolgreicher Anwalt in einer von jüdischen Chefs dominierten Kanzlei, stammt aus Pakistan, schwor seinem islamischen Glauben ab, kann aber in den USA nach 9/11 weder für sich noch für seine Umwelt einen selbstverständlichen Umgang mit seiner Herkunft erreichen. Er trägt sauteure Hemden, weil sie ihm gefallen (Uitdehaag) und weil er dazugehören will zum Club der Erfolgreichen, der gesellschaftlich Angekommenen (Uitdehaag und Kušej). Seine Frau Emily malt und hat die Schönheit der arabischen Kunst für sich entdeckt, geht einmal aus Karrieregründen und auch aus ein bisschen Gier mit dem jüdischen Kurator Isaac ins Bett, dessen Frau Jory, gedacht als erfolgreiche Afroamerikanerin, als Kollegin von Amir diesen in der Kanzlei überflügelt, aus dem ganz simplen Grund, weil sie keinen muslimischen Hintergrund hat und deshalb mit diesem die anderen auch nicht nerven kann. Dazu kommt noch ein Neffe Amirs, der in dessen Untergang den Onkel als Helden sieht und schließlich den Weg in die Radikalisierung einschlägt. Bevor er dies tut, muss es erst einmal richtig knallen.

Und zwar bei einem Abendessen der beiden Paare bei Amir und Emily zu Hause. Zu diesem Zeitpunkt ist Amirs (Selbst-)Zerstörung schon im vollen Gang. Aus ihrer naiven Islambegeisterung heraus drängte Emily den widerstrebenden Amir dazu, sich für einen inhaftierten Imam einzusetzen. Amir vertrat ihn zwar nicht offiziell vor Gericht, doch die Chefs seiner Kanzlei werden nun auf seine Herkunft aufmerksam. Bislang galt er ihnen als Inder, jetzt ist er Moslem.

Beim Abendessen eskalieren nun alle unterdrückten Konflikte. Amir und Isaac gehen schäumend mit rassistischen Vorurteilen aufeinander los, Amir geriert sich islamischer, als er ist, entwickelt daraus einen irrlichternden Stolz, Emily und Isaac werden von Jory bei der Möglichkeit eines Kusses überrascht, eine Erkenntnis, die sie auch gleich mit eisiger Überlegenheit kundtut, worauf Amir in Jory nicht nur die Vernichterin seiner Karriere, sondern auch seines privaten Glücks sieht. Die Gäste rauschen ab, Amir verprügelt Emily in rasender Wut (Kušej). Bei Uitdehaag ist es nicht ganz so drastisch.

Überhaupt erzählt Uitdehaag die Figuren aus ihrem situativen Kontext heraus; das gibt dem Ganzen eine realistische Wahrheit und macht die Eskalation sowohl lustiger, vor allem dank Götz Schulte als Isaac, als auch verdaulicher. Am berührendsten ist die warme Zärtlichkeit zwischen Bijan Zamani (Amir) und Nora Buzalka (Emily) am Anfang, als noch alles heil ist. Und die umfassende Traurigkeit des allerletzten Abschieds von der Liebe, wenn alles zerstört ist.

Kušej räumt auf, lässt vom Dinnersetting nur eine neukomponierte Sprachfuge über Rezepte und Zutaten übrig, schüttet harte Kohlestücke auf die Bühne, die dafür sorgen, dass im physisch ausgekosteten Clinch alle irgendwie schwarz im Gesicht werden, nur die stolze Jory nicht, die Astrid Meloni mit teflonharter Überlegenheit spielt. In die vielen Blacks zwischen den Szenen - diesem Stilmittel bleibt Kušej treu - träufelt die Musik von Michael Gumpinger ein psychotisches Unwohlsein. Anna Della Rosa verleiht der Emily eine aufgekratzte Tussi-Aura, Paolo Pierobon, ein Star in Italien, formt aus Amir ein mitleiderregendes menschliches Monument der völligen Zerrüttung. Sympathisch, letztlich, ist keiner und keine.

Im Publikumsgespräch nach dem Gastspiel zeigt sich Ayad Akhtar hoch erfreut über die Erkenntnis aus Kušejs Inszenierung, sein Text funktioniere auch ohne jedes realistische Setting. Das stimmt, einerseits. Andererseits offenbart Kušejs Inszenierung einer zwar hochemotional aufgeladenen, im Kern aber auf ein hartes Knochengerüst bloßgelegten Rhetorik ein schwer zu fassendes Unwohlsein angesichts der durchkonstruierten Argumentation des Stücks. Das Ergebnis ist freilich erschütternd und zeigt, wie sehr eine kultivierte Gesellschaft nicht funktionieren kann. Aber, und das ist vielleicht das Unwohlsein: Akhtars und Kušejs Figuren erscheinen als Hybride, jede für sich ein Sammelbecken von Argumenten. Zu viert tanzen sie zu "Killing in the name" von Rage against the machine, einem Song gegen Rassenhass. Der ist 25 Jahre alt. Wenig hat sich seitdem geändert.

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