Kritik:Ernst und leicht

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Harding beim BR-Symphonieorchester

Von Egbert Tholl, München

Oh, ist das gut. Sofort umfängt einen eine Atmosphäre äußerster Ernsthaftigkeit. Fast heilig ist es, jedes Husten wird zum Sakrileg. Und doch ist da auch ein Sehnen, ein Verlangen, sorgsam erkundet, mit höchster Akkuratesse, aber auch erfüllt von einer unmittelbaren Lebendigkeit. Daniel Harding dirigierte aus Wagners "Parsifal" das Vorspiel und den "Karfreitagszauber", das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielt, und die Philharmonie im Gasteig verwandelt sich. Sie klingt sogar gut, zumindest in Block C, aber leider kann man halt nicht jeden Tag hier drinnen erlesene Opernsymphonik spielen.

Harding liefert ein souveränes, reifes Dirigat ab, blitzsauber und aufregend. So wie er gerade das Vorspiel durchdringt, braucht man den Rest des Bühnenweihespiels gar nicht mehr, weil sich dessen Gehalt vollgültig erzählt. Und in einer wunderbaren Programmplanung geht es weiter. Auf Wagner folgt Schönberg, das Monodram "Erwartung", jenes Solodrama über Liebe und Tod, in dem noch der verschlungene Jugendstil der "Verklärten Nacht" präsent ist, aber auch die psychologische Wahrheit der Dissonanz aufscheint. Evelyn Herlitzius singt den Text Marie Pappenheims, spricht ihn und deklamiert ihn, spukt ihn aus und schraubt ihn in dramatische Sopranhöhen. Punktuell bricht die Wucht des Ausdrucks aus ihr heraus, nie jedoch verlässt sie den Bereich der Kontrolliertheit, jenseits dessen die Unwahrheit lauern könnte. Alles wirkt echt, auch im Psychotischen. Und Harding umgibt ihre Stimme mit dem dunklen Glitzern des Orchesters, das sich auch zu einem krassen Schrei formieren kann, aus seinem süßen Schmerz heraus. Dann weht die Geige des Konzertmeisters Anton Barachovsky eine ferne Erinnerung heran. Großartig, wie Harding, Herlitzius und das Orchester das Ende so offen halten, wie Schönberg das wollte, flackernd.

Nach der Pause kommt noch Brahms' Erste, wie zur Erholung, weil frei und licht, sehr luftig und duftig musiziert. Die langsame Einleitung ist ein Traum, klar, alles klingt sehr gut. Und in sich so konsequent, dass man unweigerlich zu einem Vergleich kommt. Christian Thielemann hat die Symphonie in München oft dirigiert, auch auf Tournee, weshalb sich seine Auffassung ins Gedächtnis gefräst hat. Zu Harding bildet sie mit ihrer sägenden Unabdingbarkeit einen Maximal-Kontrast - interessant, diese Symphonie mal farbig und leicht, nicht groß und schwer zu erleben.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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