Kritik:Die große Klammer

Blaubart, Mainfrankentheater

Anhänglich: Bryan Boyce gibt am Mainfrankentheater einen Blaubart mit virilem Bassbariton, während Camilla Matteucci tanzend versucht, vor der Katastrophe zu warnen.

(Foto: Nik Schölzel/Mainfrankentheater)

Das Mainfrankentheater Würzburg spannt Bartóks Oper "Herzog Blaubarts Burg" und Strawinskys "Le Sacre du Printemps" zum dunklen Kriegskommentar zusammen

Von Florian Welle

Die zweite Spielzeit von Intendant Markus Trabusch steht unter der Überschrift "Aufbrüche, Umbrüche, Revolutionen". Vor kurzem hatte Mozarts "Così fan tutte", komponiert im Revolutionsjahr 1789, am Mainfrankentheater Premiere. Nun zieht man mit einem Abend nach, der Oper und Ballett zusammenspannt: Bartóks einziger Oper "Herzog Blaubarts Burg" hat Ballettchefin Anna Vita Strawinskys epochales Werk "Le Sacre du Printemps" zur Seite gestellt.

Für Bartóks abgründigen Einakter um Herzog Blaubart und seine Geliebte Judith muss ja stets eine Ergänzung gefunden werden, damit ein abendfüllendes Programm herauskommt. Häufig ist es Schönbergs "Erwartung", aber auch Neukompositionen, wie "Senza sangue" von Péter Eötvös in Hamburg, haben sich schon zum "Blaubart" gesellt. Die Würzburger entschieden sich für Strawinsky, was musikalisch ebenso Sinn macht, wie es inhaltliche Verbindungen gibt. Beide Werke feiern den Rhythmus als ureigene Kraft der Musik. Und beide kreisen um das Thema (Auf-)Opferung.

Die Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter hat einmal über "Sacre" gesagt, das Stück würde die Krise der Moderne markieren. Die Pariser Uraufführung von 1913 evozierte einen der größten Skandale der Ballettgeschichte. Aus heutiger Sicht wichtiger als der ästhetische Schock von damals ist die Tatsache, dass das Werk als Vorbote der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" zu lesen ist, an deren Beginn das heroische Selbstopfer der Kriegsfreiwilligen auf allen Seiten steht. Das gleiche gilt für den "Blaubart", der zwar erst im Mai 1918 uraufgeführt, aber schon 1911 geschrieben wurde.

Und so kann man Anna Vitas Doppel-Inszenierung auch als Kommentar zum Kriegsende verstehen, das 2018 hundert Jahre her sein wird und das mit Monarchendämmerung und Revolution einherging. "Nacht bleibt es nun ewig, immer", sind die letzten Worte des Herzogs, die man vielleicht nicht mehr nur als privates Statement eines in sich eingekerkerten Menschen zu begreifen hat, sondern auf die historische Situation beziehen muss. Schon Adorno schrieb, das Thema hinter Bartóks Musik sei der Schrecken.

Vordergründig erzählt Vita vor der Pause mit ihrem "Blaubart" eine dunkle Lovestory. Die Burg deuten zueinander versetzte, nachtschwarze Wände an, die nach geraumer Zeit hochgezogen werden und den Blick freigeben: Nicht auf die sieben Türen, hinter die Judith Blaubart drängt. Sondern auf einen Würfel, der, wie die gesamte Bühne mal in blaues, mal in blutrotes Zwielicht getaucht ist, und sich dreht. Durch eine Seite kann man hineinblicken. Erst sehen wir Folteropfer, später Menschen in goldenen Gewändern.

Dass es Vita nicht der Fantasie überlässt, was hinter den Türen respektive im Würfelinneren lauert, sondern Blaubarts Folterraum, Schatzkammer und Zaubergarten mit lebenden Tableaus bebildert, ist wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass sie ihre Ballettcompagnie in das grausame Kammerspiel um Macht und Verführung eingewoben hat. So gibt es neben Judith und Blaubart noch das "Echo", das die Kämpfe verkörpert, die die beiden mit sich selbst ausfechten. Camilla Matteucci tanzt es mit expressivem Gestus, zerrt aber auch an Judith, als wolle sie diese vor dem Herzog warnen. Karen Leiber ist Judith. Ihr geschmeidiger Sopran macht aus der Rolle keine Besessene, die ihr Gegenüber wie eine Psychologin erforschen will. Sondern eine Romantikerin, die sich für ihre Liebe zu Blaubart (Bryan Boyce mit virilem Bassbariton und reduziertem Spiel) opfert. Entstanden ist eine bildgewaltige Inszenierung, die aber gerne verrätselter hätte ausfallen dürfen. Star der Aufführung ist das Philharmonische Orchester unter Enrico Calesso, das Bartóks reiche Klangsprache zu jeder Zeit zum Leuchten bringt.

Nach der Pause geht es dann mit "Sacre" weiter. Die Herausforderung, die Strawinskys energiegeladene, rhythmisch ungezähmte Partitur für das Orchester darstellt, hört man. Trotzdem wurde das Live-Experiment gewagt, und hierfür: Chapeau! Natürlich wirkt das "Frühlingsopfer", das Anna Vita ohne wirklich neuen Interpretationsansatz auf laubbedecktem Boden und in Schummerlicht in Szene setzt, noch wuchtiger, wenn es von einer vielköpfigen Compagnie getanzt wird. Masse. Macht. Die Würzburger verfügen über zwölf Tänzer, die gelbe und rote Ganzkörpertrikots tragen, und alles geben, um ein Gefühl von dumpf-stampfender Archaik zu erzeugen. Glanzpunkt: das Duett zwischen Opfer (leichtfüßig: Kaori Morito) und dem Alten (athletisch: Davit Bassénz), das mit dem Sturz ins Bodenlose endet. Jubel!

Blaubart - Sacre, nächste Vorstellung: So., 5. November, Mainfrankentheater Würzburg

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