Kritik der Werbebranche:Kaufe, kaufe, Krise

Sehen, losrennnen und kaufen, um ein besserer Mensch zu werden: Die Werbung könnte uns prima aus der Krise helfen, wenn sie visionärer wäre.

Peter John Mahrenholz

Die Krise - als Bewertungskrise und Vertrauenskrise hinreichend beschrieben, aber längst nicht beherrscht - diese Krise muss weg. Klar ist, dass Unternehmen und Politik alles tun, damit die Menschen die Krise vergessen und weiter konsumieren. Denn Konjunktur bedeutet am Ende "Kaufen" und kann weder in Vorstandsetagen noch im Bundeskabinett beschlossen werden. Deshalb müssen wir doch irgendwie rein in den Entschluss des Menschen und ihm Lust aufs Kaufen machen!

Kritik der Werbebranche: Diese Werbung blieb im Gedächtnis: Johanna König alias Klementine war in den Siebzigern die wäschewaschende Ikone der Werbebranche.

Diese Werbung blieb im Gedächtnis: Johanna König alias Klementine war in den Siebzigern die wäschewaschende Ikone der Werbebranche.

(Foto: Foto: dpa)

Also schlägt jetzt die Stunde der Werbung. Schließlich hat sie in zahllosen Fällen bewiesen, dass sie es kann: die Menschen motivieren und für Absatzimpulse sorgen.

Doch werden nicht nur die Unternehmen zögerlicher in ihren Werbeinvestitionen. Auch die Werbebranche selbst plagt sich mit Zweifeln und beklagt, wie kürzlich im Spiegel zu lesen, das Armenhaus der Kreativität. Und richtig: Ob die Webseiten der New Kids on the Blog, die visuellen Styles der Design-Avantgarde oder die zumindest im unschuldigen Anfang ideell getriebenen Projekte der Nachhaltigkeits-Bohème: Wohin die Werbung sich auch dreht und wendet - überall, so scheint es, sind schon mutigere Macher mit wahrhaftigeren Werten und edleren Zielen. Humor, so hieß es in der Analyse, ist wohl das wichtigste Stilmittel der Bewältigung von Werbefrust und Krise.

Das Wettrennen um die bessere Pointe ist doch aber am Ende auch nicht beglückender als das um die größeren Fruchtstücke im Joghurt. Und so sehen viele nicht hin, wenn die gleichen Comedians, die schon für die Verflachung des Programms verantwortlich zeichnen, jetzt auch noch die Werbeblöcke humormäßig einebnen. Um gerecht zu sein: Auch in den sogenannten neuen Medien sind die Probleme der Werbung strukturell die alten. Penetrante Pop-Ups jedenfalls sind störender als jeder TV-Spot und fröhliche Viral-Filmchen mögen ein paar Sekunden unterhalten, aber häufig ohne eine relevante Erinnerung an das beworbene Produkt oder die Marke in das Bewusstsein zu ritzen. Wie also soll man Menschen bewegen? Im Kopf, im Herzen und dann zur Kasse?

Vor allem doch wohl mit Geschichten und Bildern und indem man sie interessiert, berührt, fasziniert, begeistert. Vor ungefähr 25 Jahren hatte ich ein Erweckungserlebnis durch Werbung. Ich sah einen Nike-Spot. Keinen mit teuren Superstars - Mega-Fussballer und Basketballheroen waren noch nicht so en vogue und für mich Sportniete so relevant wie Tournedos Rossini für Veganer. Man sah eigentlich nur Menschen, die Sport machten. Toll inszeniert, von faszinierender Musik begleitet und vermutlich, ich erinnere mich nicht, mit einem klug motivierenden Sprecher dazu: nicht mehr und nicht weniger, als was zum professionellen Werbehandwerk gehört.

Marken sind wie Menschen: nichts Besonderes

Doch diese Bilder hatten eine unglaubliche Kraft. Ich musste sofort die Zigarette wegwerfen, ein paar neue Laufschuhe kaufen und allen orthopädischen Problemen zum Trotz losrennen. Nicht pawlowsch, eher hypnotisiert, besser: beseelt von dem Gedanken, durch Sport ein anderer Mensch zu werden.

Langfristig geholfen hat es nicht. Ich habe mich nicht gebessert und laufe heute meilenweit, ausschließlich um einen Ort zu finden, an dem mir die moderne Gesellschaft erlaubt, eine Zigarette und ein Glas Wein gleichzeitig und in geschlossenen Räumen zu genießen. Keiner hat gesagt, dass man selbst alles hält, was die Werbung verspricht. Aber die Kraft des Gedankens, den Nike mir gab, war phänomenal.

Heute sind Marken wie Menschen: immer bei uns, nichts Besonderes. Man lebt gerne mit ihnen. Marken sind soziale Geschöpfe und nehmen an unserem Leben teil. Wir bedienen uns ihrer, um Freude zu haben, uns zugehörig zu fühlen oder eben gerade nicht. Und deshalb akzeptieren wir die Sprache der Marken, ihre Werbung. Daher kommt auch der Trend zum Mitmachen, zum Web-Dialog, zum Hochladen, oder zur Bildung von Fangruppen auch für Marken. Gerade die Kritik an der Werbung zeigt ja, dass diese angekommen ist in der Mitte unseres Lebens.

Der perfekte Plot

Immer gelten dabei dieselben Regeln wie für jeden anderen Gesprächspartner in unserem Kulturkreis auch. Wer ständig von sich selbst redet, ist nicht höflich und macht sich unbeliebt. Wer nichts zu sagen hat, hält lieber die Klappe. Ganz gleich ob Talkshow-Moderatoren, Romanautoren, Tischnachbarn oder Marken. Humor mag dabei zwar durchaus durchaus hilfreich sein, aber akzeptieren können wir Werbung eigentlich nur aufgrund ihres Inhalts.

benetton dpa

Werbung mit Skandal: Es gehe nicht um Provokation, sondern darum, Probleme in der Gesellschaft zu benennen, sagte Benetton zu dieser Kampagne, die Motive aus einem afghanischen Flüchtlingslager in Pakistan zeigte.

(Foto: Foto: dpa)

Und weil das so ist, ist es so schwer zu verstehen, warum sich die Werbung so oft raushält aus allem. Sie beschränkt sich darauf, ein Produkt zu zeigen und zu beschreiben und verharrt in der Rolle des Absenders, also des Unternehmens, das etwas verkaufen will. Dabei versäumt sie, etwas zu sagen, das die Menschen interessiert, bewegt und anfasst. In diese Perspektive zu wechseln, den sicheren Hafen der eigenen Leistung zu verlassen und auf den Menschen zuzugehen, erfordert ein genaues Verstehen des eigenen Publikums und Mut.

Mut zählt aber selbst in der Krise kaum noch als unternehmerische Tugend. Und dabei bräuchte es so dringend einen großen Gedanken. Denn nach durchschnittlich nur 6,5 Sekunden entscheidet sich, ob wir noch länger hinhören oder nicht. Wie wichtig ist da der neue Wirkkomplex, die verbesserte Fruchtmischung oder die überarbeitete Tarifstruktur? Wie viel besser wäre zu wissen, warum das mein Leben betrifft und weshalb es mich beschäftigen soll, wo es doch andere, wichtigere Dinge gibt.

Die wirklich starken Kampagnen waren oft Geschichten. In Filmen oder auch nur Bildern, die aber die Kraft hatten zu erzählen und sich deshalb in das Gedächtnis eingebrannt haben. Weil man in seinen Gedanken selbst erleben kann, was da passiert. Egal, ob es dabei um mehr oder weniger skandalöse Bilder ging wie bei Benetton oder um schönste Unterhaltung wie bei Levi's Jeans. Der Film, in welchem der kondomverkaufende Apotheker feststellt, dass der Kunde des früheren Tages dessen Tochter zum Rendezvous abholt, hat die wahre Bestimmung der sogenannten Uhrtasche einzigartig erzählt. Oder der perfekte Plot, der zur legendären Ohrfeige führt, mit welcher die Frau, die um die legendäre Mercedes-Zuverlässigkeit weiß, die Pannenstory des verspätet nach Hause kommenden untreuen Mannes entlarvt.

Heute können selbst Waschmittel einen großen Gedanken haben. Persil hat in England eine Werbekampagne, die sagt "Dirt is good". Kinder mit eingesauten Klamotten sind danach nicht mehr der Albtraum der Hausfrau, sondern ein Synonym für Spiel, Entdeckergeist und alle anderen Freuden der Kindheit. Ein Gedanke so schlicht wie schön und unvergesslich. Oder Hornbach. Der Baumarkt, der jenseits von großer Auswahl zum kleinen Preis die Geschichte von Leidenschaft, Besessenheit und Erfolg des Heimwerkens erzählt. Und Sony, der Fernseher, der etwas Selbstverständliches wie Farbe mit einer Geschichte von 250 000 Bällen erzählt, die wie eine tanzende Lawine die Straßen von San Francisco erobern.

"Werbung ist nicht tot"

Ein anderes Beispiel: Sofia und Francis Ford Coppola im Gras, verträumt und nur im Bewusstsein ihrer eigenen Gegenwart und der des Himmels über ihnen. Und ich erinnerte mich, vor kurzem schon einmal Keith Jarrett in einem Hotelzimmer gesehen zu haben - natürlich nur auf einer Fotografie, aber es waren schöne Cocktails, gemixt aus etwas Verlorenheit und etwas Sehnsucht, einem Schuss Versprechen und einer Prise Rätsel.

"Werbung ist nicht tot", sagt Pietro Beccari, Marketingchef von Louis Vuitton. "Aber die Leute sind es müde, nur ein It-Teil abgebildet zu sehen. Man muss die Geschichte dahinter zeigen!"

Die Kampagne, von der Star-Fotografin Annie Leibovitz mit dezent gebremstem Glamour ins Bild gesetzt, soll wieder ein Kernthema der einstigen Koffer-Marke ins Zentrum rücken. Die Reise, nicht als simpler Ferientrip, sondern als Entdeckungsreise in unbekanntes Terrain. Beccari sagt, was man angesichts des It-Bag-Kults der letzten Jahre leicht hätte vergessen können: "Reisen - das stand einmal für Abenteuer - und Louis Vuitton war die Marke für Abenteurer."

Das jüngste Anzeigenmotiv besinnt sich nun auf die weiteste aller Reisen, die ein Mensch je unternommen hat: zum Mond. Das Motiv, das zum 40. Jahrestag der Mondlandung geschaltet wird, zeigt die drei Astronauten Sally Ride (1983 die erste Frau im All), Buzz Aldrin (zweiter Mensch auf dem Mond, Apollo 11, 1969) und Jim Lovell (Apollo 13, 1970), wie sie in der Wüste auf einem Pickup hocken und zum Mond aufblicken. Auf der Website www.louisvuittonjourneys.com erzählen die Astronauten in kurzen Videos von ihrer Reise. Der Werbeslogan knüpft an Neil Armstrongs Worte von 1969 an: "Manche Reisen verändern die Menschheit für immer."

Vieles kann man hineinträumen in die Bilder, die Annie Leibovitz fotografierte. Will man danach selbst Grenzen überschreiten, kann man ja 2010 mit Virgin Galactic den Trip ins All antreten - für 200 000 US-Dollar. Dann ist wieder mal bewiesen, wie gute Geschichten die Menschen so berühren, dass sie am Ende vielleicht auch die Krise vom Markt kaufen.

Der Autor, 44, ist Markenstratege und arbeitete in Großbritannien und Deutschland, unter anderem bei Jung von Matt. Zurzeit leitet er das Deutsche Büro der Internationalen Agentur Draftfcb.

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