Krimi-Kolumne:Alte Messer, gezückt von Olen Steinhauer

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In Wien herrscht Euphorie, die Wirtschaft brummt, alles scheint bestens - bis ein Flugzeug landet und von vier Terroristen gekapert wird. "Der Anruf" ist ein grandioser Politthriller.

Von Fritz Göttler

Die entscheidende Szene ist von sehr langer Hand und ungemein detailliert vorbereitet, aber seinen eigenen Einstieg dabei hat Henry Pelham dann erst mal ziemlich vermasselt, als er, eine halbe Stunde zu früh, das Gasthaus Rendez-vous betritt in Carmel-by-the sea, Kalifornien, wo er sich noch einmal mit Celia treffen will. Er sieht beim Eintreten die Bar und nimmt das "als hoffnungsloses Omen, auch wenn ich keine Flaschen sehe", setzt sich an die Theke und bestellt Gin Martini - und kriegt ein höflich bestimmtes "Tut mir leid, wir haben nur Weine" als Antwort. "Das soll wohl ein Scherz sein", entfährt es ihm, und als er dann einen Blick auf die Karte wirft, wird ihm schummerig vor den Augen. "Was sehr Kaltes und Starkes", fordert er also, und kriegt daraufhin etwas, was sich "als fruchtiger Chardonnay des Joullian Estate im Carmel Valley entpuppt".

Emma Thompson und Alan Rickman haben den Roman inspiriert

Der Originaltitel von Olen Steinhauers neuem Politthriller, "All the Old Knives", lässt großes Theater anklingen. Ein gediegenes kleines Lokal ist die vollendete location für eine raffinierte Inszenierung jedweder Art. Speisefolge und Tischmanieren liefern ein formales Gerüst, das Rede und Widerrede, Anzüglichkeiten und Doppelspiel provoziert. Henry Pelham ist ein CIA-Mann aus Wien, ausgelaugt, präpotent, zu billiger Philosophiererei neigend ("Überall auf der Welt sind Urinale Ausdruck des männlichen Willens, beim Wasserlassen zu stehen. Ist das etwas Evolutionäres?"), Celia Favreau, die er in Carmel trifft, eine Ex-Kollegin und -Geliebte, die einen Amerikaner geheiratet und zwei Kinder hat. Es ist Oktober 2012, der Präsidentschaftswahlkampf geht zu Ende. Es gilt, eine Geschichte von damals noch einmal durchzusprechen, die sie damals entfremdet hat und in der noch so vieles ungeklärt ist, eine alte Geschichte um Vertrauen und Pflicht, Gewissen und Verrat, Schuld und Verurteilung. In seiner Hosentasche hat Henry heimlich ein Aufnahmegerät.

Der Set-up ist bereit für ein unerbittliches Es-war-einmal . . . "In Wien herrscht Euphorie, die Wirtschaft blüht, das Land hat einen festen Platz in der Union. Wie immer gibt es auch Ängste - die Rechten pochen auf Österreich über alles und wettern gegen Einwanderungswellen aus der Türkei und dem ehemaligen Ostblock -, doch im Großen und Ganzen ist es eine Hauptstadt biederer Stabilität, und die Konjunktur ist noch unberührt vom Scheitern westlicher Kreditpraktiken."

So war es im Dezember 2006. Dann landet der Royal-Jordanian-Flug 127 aus Amman, 120 Menschen an Bord, Passagiere und Besatzung, auf dem Wiener Flugplatz, vier Terroristen übernehmen es, erschießen eine Flugbegleiterin, wollen Gefangene freipressen, Angela Merkel bleibt hart. Die CIA-Leute in Wien suchen fieberhaft nach Hinweisen auf den Hintergrund der Tat, stoßen auf die merkwürdige Figur des Ilyas Shishani, den tschetschenischen Bäcker, den Henry aus seiner früheren Arbeit in Moskau kennt. Und dann ist da diesen merkwürdigen Anruf mit der Landesvorwahl 962, der Stadtvorwahl 6, Amman in Jordanien . . .

Olen Steinhauer ist ein Meister in der Kunst, das Private und das Professionelle ineinander übergehen zu lassen, er hat es bewiesen mit seiner Trilogie um den "Touristen" Milo Weaver und dann mit der subtilen "Kairo-Affäre". Im neuen Roman steigert er das Theatralische zum Lyrischen, das Erinnerungsspiel zwischen Henry und Celia ist reine Poesie. Inspiriert ist es, wie Steinhauer selbst erklärt, von einem langen Gedicht von Christopher Reid, das den Titel "The Song of Lunch" trägt, und das Steinhauer in einer Fernsehadaption mit Emma Thompson und Alan Rickman sah: "Geschniegelt und gebügelt / erfüllt monochromes Personal / alle Wünsche, / es sei denn, / sie stehen nicht auf der Speisekarte."

Das Personal im Rendez-vous nimmt im Verlauf des Romans groteske, auch unheimliche Züge an. Bald ist nicht mehr eindeutig zu bestimmen, wer mitgebastelt hat an dieser Inszenierung und am Ende Regieanweisungen gibt. Der moderne Thriller wird bei Olen Steinhauer heftig von Passionen bestimmt, seine Romane sind fragile kybernetische Gebilde aus vagen Andeutungen und Erinnerungen, ein Konstrukt aus Aktion und Reaktion, das auch über den Tod eines Handelnden aktiv bleiben kann. "Für mich war das eine großartige Zeit", erinnert sich Celia, "ich lebte in einer Welt, die mir einen Blick hinter die banale Realität erlaubt hat . . . Das Problem ist, dass meine Jahre bei der Agency wie eine Sucht waren. Ich war berauscht von dem Nervenkitzel, den mir dieses geheime Wissen ermöglich hat." Die Droge Geheimdienst, Henry als der Dealer, der versucht, seine Rolle damals noch einmal zu definieren. 127 - so nennen die CIA-Leute das fatale Geschehen von Wien - ist am Ende eine monströse Liebesgeschichte.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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