Krieg der Bilder:Die Amazonen Kurdistans

Kurdische Kämpferinnen im Nordirak, 2003

Kurdische Kämpferinnen sind kein neues Phänomen: 2003 kämpften im Nordirak auch Frauen gegen Saddam Husseins Truppen.

(Foto: REUTERS)

Bilder von Musliminnen an der Waffe sind der neueste Hype in den sozialen Netzwerken. Sie bieten das Gegenstück zur Ballerspiel-Ästhetik des IS. Aber Geschlechterdiskriminierung gibt es trotzdem.

Von Ronen Steinke

Die junge Frau blickt voller Zuversicht in die Kamera. Sie lächelt, sie macht mit ihrer Linken das Victory-Zeichen. Sie trägt einen grün-schwarzen Kampfanzug, ihre blonden langen Haare sind hochgesteckt: Es ist ein Foto, das in den vergangenen Tagen Karriere gemacht hat in den sozialen Netzwerken.

Die unbekannte junge Frau soll eine Verteidigerin Kobanês sein, der kurdischen Stadt, die sich dagegen stemmt, von den Ultra-Islamisten des "Islamischen Staats" (IS) eingenommen zu werden. Irgendwann hat sie von Twitterern einen Namen zugeschrieben bekommen: Rehana. Sie ist im Netz gefeiert worden. "Rehana hat mehr als 100 #ISIS Terroristen getötet in #Kobane", hieß es, und 5500 User verbreiteten die Nachricht weiter.

Sie ist geköpft worden von IS-Kämpfern. Sie wurde zur Märtyrerin: der "Engel von Kobanê". Sie ist wiederauferstanden.

Poster Girl für den kurdischen Widerstand

Der schwedische Fotograf Carl Drott, der das ursprüngliche Foto schoss, hat nun erklärt, dass die Frau - angeblich eine Jurastudentin aus Aleppo - bei der kurdischen Fraueneinheit YPG keinesfalls einen Job an der Front bekommen haben kann. Und dann meldeten sich angebliche Freunde von Rehana und sagten: Sie lebt.

Fotos aus Kobanê, deren Authentizität sich überprüfen lässt, sind rar. Umso mehr spielt dieser Bilderkampf inzwischen eine Rolle für die Wahrnehmung in Europa, auch für die politische Solidarität mit den kurdischen Kämpfern. Rehana, das Poster Girl für den kurdischen Widerstand, ist am Ende vielleicht nur das gewesen: ein Plakatmotiv. Aber die riesigen Sympathien, die ihr entgegenschlugen, waren echt. Der Hype musste nur leicht angefacht werden von den in Schichten twitternden Medienleuten der kurdischen Kämpfer.

Hier Steinzeit-Dschihadisten, dort Frauenquote

Diese Kämpfer haben in Nordsyrien eine komplizierte Vorgeschichte, ein problematisches Zweckbündnis mit den Truppen des syrischen Diktators Baschar al-Assad zum Beispiel. Trotzdem erscheinen sie in westlichen Augen immer öfter nicht nur als geringeres Übel, sondern als progressive, gar emanzipatorische Kraft - zumal wenn man hört, dass die Kurdenparteien PKK und PYD nach Geschlecht quotierte Doppelspitzen auf allen Ebenen haben. Hier die Steinzeit-Dschihadisten vom IS, dort die Frauenquote.

Der Applaus dafür ist groß und wird tausendfach weitergetwittert. Ein Bild, das kürzlich aus Polen um die Welt ging, zeigt junge Männer mit Irokesenschnitt und junge Frauen mit Rastazöpfen, die in einem autonomen Zentrum ein Transparent hochhalten. Solidarität mit den kurdischen Kämpferinnen in Kobanê. Das "A" in "Solidarität" ist ein Anarchie-Zeichen.

Das Gegenstück zur Ballerspiel-Ästhetik des IS

Die vielen Bilder kurdischer Kämpferinnen, ob mit geschulterter Panzerfaust oder mit einem Lächeln in der Gefechtspause, die in diesen Wochen den Weg auch in die Nachrichtenmagazine finden, bieten das Gegenstück zur Ballerspiel-Ästhetik des Islamischen Staats. Die IS-Videos sollen Verlierer aus Europas Banlieues anziehen; die Bildersprache der PKK erweist sich als attraktiv für gebildete Menschen.

Vielleicht, so spottet die exilkurdische Aktivistin Dilar Dirik, die in Cambridge forscht, wirkten die Bilder der "Amazonen Kurdistans" aber auch einfach nur badass, knallhart? Vielleicht bedienten sie eine Sehnsucht des Westens, mehr als ein bloßes Informationsbedürfnis? Es sind schließlich Musliminnen auf den Bildern zu sehen - anders als auf den altbekannten Propagandamotiven von jungen Frauen an der Waffe, wie sie schon immer zum revolutionären Repertoire gehörten, ob in der Sowjetunion, in Venezuela oder auf Kuba.

Muslimische Kämpferinnen faszinieren den Westen

Muslimische Kämpferinnen - diese Vorstellung übte schon immer eine Faszination auf westliche Beobachter aus, schreibt auch die deutsche Arabistin Hannah Wettig. Ob es Muhammad al-Gaddafis weibliche Bodyguards waren, die erste Kampfpilotin der Vereinigten Arabischen Emirate, die jüngst gegen den IS flog, oder nun die Kämpferinnen der kurdischen YPG, die von den Medien bis zur radikalen Linken in Europa gehypt würden: "Das alles scheinen Zeichen, dass der Islam doch gar nicht so patriarchal ist wie angenommen", schreibt Wettig. "Das wäre doch schön."

Wahr ist immerhin: Wer mag, wird bei der PKK auch mit passenden Texten bedient, wiederum in sehr fortschrittlichem Duktus. Zuvorderst von Abdullah Öcalan, dem PKK-Führer, dem auch die syrische Kurdenpartei PYD loyal ist. "Wirkliche Freiheit der Frau kann es erst geben, wenn sie sich dem versklavenden Willen von Ehemann, Vater, Geliebtem, Bruder, Freund und so weiter entzieht", heißt es in seinem in Isolationshaft geschriebenen Propaganda-Hauptwerk. Oder: "Wir dürfen nicht mit patriarchaler Sprache reden, müssen stattdessen die Sprache der Frau verstehen, die viele Geheimnisse birgt."

Zwangsrekrutierung und Kindersoldaten

In der deutschen Übersetzung hat das Buch einen derart träumerischen Titel bekommen, dass es von einem Pazifisten stammen könnte: "Jenseits von Staat, Macht und Gewalt"; nebst zauberhaftem Artwork, das einen Pfau zeigt. Zahme Vögel singen von Freiheit. Wilde Vögel fliegen. Dass Öcalans Kämpfer auf Zwangsrekrutierung setzen und noch bis vor wenigen Jahren auch auf Kindersoldaten, liest man darin nicht.

Dass ein System sich auf Soldatinnen stützt, bedeutet nicht, dass seine Gesellschaft besonders frei ist. Auch der syrische Diktator Baschar al-Assad inszeniert eine Frauenbrigade, die "Löwinnen der nationalen Verteidigung". Frauen an der Waffe sind auch keineswegs ein Bruch mit konservativer islamischer Lehre. Die islamische Geschichte kennt mehrere Heldinnen, die den Religionsstifter Mohammed in Schlachten begleitet haben sollen. Umm Ammara soll ihn mit Schwert und Schild vor den Angriffen der Mekkaner gerettet haben, Khawla al-Azwar soll gegen die Byzantiner gekämpft haben. Beide Frauen werden heute vielfach dargestellt, in Filmen und auf Briefmarken.

Für den IS patrouillieren Frauen mit Niqab

Selbst der IS hält sich zwei Frauenbrigaden. In seiner sogenannten Hauptstadt im syrischen Raqqa patrouillieren junge Frauen mit Niqab und Kalaschnikow. Arabische Medien berichten, dass sie die Gesichtsschleier von Passantinnen kontrollieren, manchmal peitschen sie Frauen aus, deren Kleidung ihnen unislamisch erscheint. Das sind Funktionen sozialer Kontrolle, für die Frauen gerade dann unverzichtbar sind, wenn Regime die Sphären der beiden Geschlechter streng getrennt halten wollen. Schon deshalb ist die Integration von Frauen in Sicherheitskräfte nicht unbedingt ein Widerspruch zu Geschlechterdiskriminierung.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es bereits seit Anfang der Neunzigerjahre eine Militärakademie für Frauen; von den Männern strikt getrennt. Auch in Oman dienen Frauen in der königlichen Armee. Die ersten Absolventinnen der Sultan-Qaboos-Militärkademie nahmen 2011 ihren Dienst auf.

80 Prozent sind Hausfrauen

Und in Algerien gibt es nicht nur schon seit langem Frauen in der Armee, jüngst wurden auch drei Frauen zu Generalinnen ernannt. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es aktuell nur eine Soldatin im Generalsrang.

"Man kann also das Erstaunen über muslimische Kämpferinnen verstehen", so die Arabistin Wettig, "doch sagt es eben nichts über die allgemeine Diskriminierung von Frauen aus." In den Vereinigten Arabischen Emiraten mag es Kampfpilotinnen geben, aber 80 Prozent der übrigen Frauen dort sind Hausfrauen. Bei den kurdischen Kämpfern waren Frauen lange vor allem für die Versorgung zuständig. Dass sie daneben für Propagandazwecke genutzt werden, ist nicht ganz neu. Aber so wertvoll wie jetzt, da es um die Unterstützung des Westens geht, waren sie womöglich noch nie.

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