Konzertsaal-Debatte:Was Bochum besser macht als München

Konzertsaal-Debatte: Aufriss des neuen Bochumer Konzertsaals. Abb.: Bochumer Symphoniker, Bez+Kock

Aufriss des neuen Bochumer Konzertsaals. Abb.: Bochumer Symphoniker, Bez+Kock

Das Projekt lebt von Spenden, die Kosten liegen unter 34 Millionen Euro. Das Beispiel des neuen Bochumer Konzertsaals zeigt, was mit viel Bürgerengagement realisiert werden kann. In München wird lieber gestritten.

Von Johan Schloemann

Elbphilharmonie, Hamburg: 789 Millionen Euro. Das ist die letzte Preisangabe des nun auch weiterhin Ersten Bürgermeisters der Stadt.

Gasteig, München: so grob 300, 400 Millionen Euro. In dieser Größenordnung bewegen sich die Schätzungen der Experten für die Sanierung und den Umbau des Kulturzentrums über der Isar, wie immer man sich auch die Implementierung eines Weltniveau-Doppelkonzertsaales in dieses Betongebilde vorzustellen hat.

Dass Ministerpräsident Horst Seehofer den Plan eines Neubaus aufgibt, entrüstet viele. Sicher ist derzeit nur: Es wird teuer, und es wird weiter nicht genug angemessenen Platz für Münchens reiches Musikleben geben.

Philharmonie, Cité de la Musique, Paris: rund 380 Millionen Euro. Sollte mal gut die Hälfte kosten.

So, das war jetzt die große Bühne. Drei Szenen aus dem Theaterkanal. Jetzt schalten wir um ins Normalprogramm.

Ein Alltagsmorgen, Nieselregen, in der Innenstadt von Bochum im Ruhrgebiet. Der VfL ist schon länger in der zweiten Liga, und das Opel-Werk macht zu. Sieht alles erst mal ziemlich trostlos aus.

Doch dann zieht man sich einen Helm und Gummistiefel an und stapft mit ein paar engagierten Menschen rüber zur Baustelle an der Viktoriastraße. Und da leuchtet dann plötzlich die Zuversicht: Die Bochumer Symphoniker bekommen tatsächlich endlich einen Konzertsaal. Nach hundert Jahren Heimatlosigkeit.

Passendes Format zur Stadt

Man spielte in irgendwelchen Hallen, im Uni-Hörsaal oder im Schauspielhaus, in trockenster Sprechtheater-Akustik. "Man will Klang produzieren, und es kommt nichts", klagt ein Mitglied des Orchestervorstands, zweite Violine, kurz bevor die Probe mit Bruckners Siebter beginnt. Auch einen vernünftigen Probensaal gab es bislang nicht - nur ein Notquartier in einer alten Zechenanlage. "Da fliegen einem die Ohren weg", so der Musiker.

Nun aber wird in der Innenstadt, nach diversen fruchtlosen Anläufen, wirklich gebaut. Zu Beginn des Jahres 2014 war da nur eine leere Grube, doch jetzt kann man schon hineinlugen ins entstehende Musikzentrum Bochum, gleich neben dem Ausgehviertel der Stadt: Da ist zuerst der eigentliche Konzertsaal mit 960 Plätzen, ein passendes Format für diese Stadt, die Bestuhlung fehlt noch.

Kurze Bauzeit, niedrige Kosten

Das Orchester wird hier auch im Alltag seine Proben halten können, sein eigenes Zuhause bekommen; ein Gastspiel-Betrieb ist nicht vorgesehen, davon gibt es schon genug in den Nachbarstädten Essen und Dortmund.

Konzertsaal-Debatte: Die Gesamtkosten für den Bau liegen unter 34 Millionen, 14,6 Millionen davon gaben private Spender. Abb.: Bochumer Symphoniker, Bez+Kock

Die Gesamtkosten für den Bau liegen unter 34 Millionen, 14,6 Millionen davon gaben private Spender. Abb.: Bochumer Symphoniker, Bez+Kock

Die Akustik des Saals - ein Hauptstreitpunkt in München - wird in Bochum von Fachleuten betreut: Eckard Mommertz vom Büro Müller-BBM in Planegg, der an der TU München Vorlesungen über Raumakustik hält, sowie vom Büro Kahle Acoustics in Brüssel - dieses plante auch den Klang in der neuen Pariser Philharmonie, im Musiktheater Linz sowie im viel gelobten KKL-Konzertsaal in Luzern.

Es wird in Bochum eine Weiterentwicklung der bewährten "Schuhkasten"-Bauweise geben, verbunden mit einer behutsamen Umrundung von Dirigent und Orchester durch weitere Zuschauerplätze. Man weiß ja erst am Ende ganz genau, wie es klingt. Aber es sieht vielversprechend aus.

Der Entwurf des gesamten Ensembles stammt vom Stuttgarter Architekturbüro Bez+Kock. In der Mitte steht, geschickt eingefügt, eine entweihte Kirche, die einstige katholische Marienkirche. Sie wird als Foyer und für Kammerkonzerte genutzt werden.

Die Kirchenglocke, viereinhalb Tonnen Bochumer Stahl aus der Glanzzeit der Schwerindustrie, wird zum Pausen-Gong umfunktioniert. Zur anderen Seite liegen außerdem endlich ordentliche Veranstaltungsräume für den Nachwuchs, für Chöre und Jugendorchester: Die Musikschule der nicht gerade reichen 360 000-Einwohner-Stadt hat 160 festangestellte Musiklehrer und 10 000 Musikschüler.

Jetzt kann die Basisarbeit gleich bei den "Großen" nebenan stattfinden. Umgekehrt sind Bochums Symphoniker sehr aktiv in der musikalischen Bildungsarbeit mit Kindern aus allen Schichten: "Jedem Kind ein Instrument." So viel zur elitären Hochkultur.

Und: Nicht nur, dass dieses Großprojekt, wenn alles weiter nach Plan geht, zum Ende dieses Jahres fertig sein wird, also nach zwei Jahren. Nein, mit einem satten Glockenschlag muss man vor allem auch auf die Gesamtkosten hinweisen: knapp unter 34 Millionen Euro.

"Geduld und Spucke"

Das bedeutet: Für eines der viel beachteten Metropolen-Megavorhaben bekäme man mindestens zehn Bochumer Konzertsäle! Ebenso erstaunlich ist, dass von dieser Summe 14,6 Millionen Euro von privaten Spendern bezahlt werden. Das ist ein gewaltiges Bürgerengagement in einer Stadt, in der es keine Millionärsdichte wie in München oder Wiesbaden gibt, keinen Riesenkonzern, kein Dax-Unternehmen, nur Mittelstand.

Um das Geld von Kleinspendern und von den dickeren Fischen einzusammeln - etwa vom Gründer der Lottofirma Faber und von vielen anderen -, brauchte es "Geduld und Spucke", wie es die Beteiligten ausdrücken.

Wie konnte das Wunder gelingen? Offenbar gerade durch die Sparvorgaben

Die Baustelle des neuen Konzertsaals in Bochum.

Die Baustelle des neuen Konzertsaals in Bochum.

(Foto: SZ.de)

Es gab Musik auf den Straßen der Stadt und für jede 10-Euro-Spende ein Dankeschön. Herbert Grönemeyer spielte ein Benefizkonzert im Ruhrstadion. In letzter Minute kamen noch drei Millionen Euro aus der Stiftung von Anneliese Brost hinzu, der Verlegerin der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

Die Stadt Bochum hingegen kann nur 2,4 Millionen Euro beitragen. Der Rest sind EU- und Landesmittel, die aber nur durch den Hebel des örtlichen Bochumer Einsatzes zu beschaffen waren. Bliebe die Frage, wie das Wunder von Bochum gelingen konnte?

Offenkundig gerade auch durch die rigiden Sparvorgaben, die knappen öffentlichen Kassen. Anstoß des Ganzen waren das Orchester und sein Dirigent Steven Sloane - der umtriebige Amerikaner, der seit zwanzig Jahren ans Ruhrgebiet glaubt, der für verschiedene große, moderne Festival-Projekte mit den Symphonikern viel Anerkennung bekam, der sich aber weder für den Abo-Normalbetrieb noch für ein Massensingen im Stadion zu schade ist. Und dazu die interessierten Bürger und Spender, die alle nicht lockerließen.

Auch nicht, als Bochum nach der Finanzkrise in den Nothaushalt rutschte und erst mal gar nichts mehr ging. In Münster hatte zur selben Zeit sogar ein Bürgerbegehren gegen ein neues Konzerthaus Erfolg gehabt. Auch in Bochum riefen manche Gegner: "Mittagessen statt Musik!"

Doch dann kam die zweite Stufe: Als das Vorhaben einmal politisch durchgesetzt war, auch bei der SPD-Mehrheit im Stadtrat - was alles andere als einfach war -, fingen alle an, es zu ihrer Sache zu machen. Die Stadt übernahm selbst die Bauherrschaft. Alle setzten sich zusammen, damit auch in der Ausführung des Baus der rigide Kostenrahmen eingehalten wurde. Das hieß: Abspecken, soweit es noch für den Musikbetrieb vertretbar war.

Trotz des Sparzwangs wird nichts Wesentliches fehlen

"Trotz einiger Verzweiflungsschreie des Generalmusikdirektors", erzählt der Kulturdezernent der Stadt, Michael Townsend, "übe ich hier die Kettenhundfunktion aus."

Der städtische Bauleiter sagt beim Rundgang: "Wir müssen hier mit den geringsten Mitteln das Maximale rausholen." Man ist sparsam, und doch wird nichts Wesentliches fehlen: vom Notenarchiv bis zu den Stimmzimmern der Musiker. Und bald wird die Stadt, die mitten im schmerzhaften Strukturwandel steckt, stolz sein auf ihr Musikzentrum.

In München sagen jetzt einige: Aber wir sind doch nicht in Bochum! Das ist wohl wahr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: