Konzertkritik:Pet Shop Boys: Eine perfekte Nostalgiemaschine

Start der Deutschland-Tour der Pet Shop Boys

Die Pet Shop Boys Neil Tennant (l) und Chris Lowe (r) spielen am 26.11.2016 in der Arena in Leipzig (Sachsen).

(Foto: Peter Endig/dpa)

Songs der Synthie-Band hört man dieser Tage eigentlich nur noch heimlich oder besoffen. Doch beim Konzert in Leipzig sind sie wieder einmal: unwiderstehlich.

Von Juliane Liebert

Musik ist eine schlechte Angewohnheit, wie Nägelkauen. Man sollte damit aufhören, solange man noch kann, sonst ist es auf einmal 2016 und man steht auf einem Pet Shop Boys-Konzert. Und dann ist man geliefert. Es ist der Auftakt der Europatournee. Die Arena in Leipzig ist ausverkauft, Laser suppen durchs Publikum, träge grüne Lichtfäden. Auf der Bühne ein Haufen Punkte, dazwischen zwei große Kreise, die Neil Tennant und Chris Lowe preisgeben. Guten Abend, meine Damen und Herren. Die Pet Shop Boys sind da.

Düdübdüdüüübdüb - und alle sind vom ersten Ton an beglückt

Die Pet Shop Boys, beanzugt, fackeln nicht lange, sondern fallen nach einem "Inner Sanctum"-Interlude mit ihrem Hit "West End Girls" ins Konzert. Vor der Show wurde (sehr sächselnd) durchgesagt, man dürfe nicht filmen und nicht fotografieren und solle doch jetzt bitte sein Handy ausstellen. Aber bitte: Würden Sachsen auf Sachsen hören, wenn Neil Tennant im Haus ist? Natürlich hat niemand sein Handy ausgestellt, natürlich fotografieren alle, natürlich filmen alle. Aber das nervige Gerätegeschwenke wird angesichts der albernen Durchsage beinahe zu einem Akt des Protestes. So singt Neil Tennant in einer echten und hunderten kleinen Displayversionen seiner selbst die Zeilen "The East End Boys and West End Girls, West End Girls" (düdübdüdüüübdüb) und alle sind vom ersten Ton an beglückt.

Er hat nach wie vor eine der unvergleichlichsten Stimmen im Pop - weder Mann noch Frau, dabei immer irgendwie manierlich, immer ein bisschen distanziert von oben herab. Und die Hits der PSBs - an diesem Abend spielen sie auch "Love comes quickly", "It's a sin", "Go West" und "Left to My Own Devices" - bleiben unwiderstehlich.

Zusammenfassung der Synthie-80er

Kann ein beseeltes, vernunftbegabtes Wesen die Pet Sop Boys nicht lieben? Die Pet Shop Boys nicht zu mögen - das wäre wie die Beatles nicht zu mögen. (Gewiss, es ist gerade sehr angesagt, die Beatles nicht zu mögen, doch das hat weniger mit den Beatles zu tun als mit ihrer Überkanonisierung.) Man muss "Always on my mind" nicht als Lieblingssong haben - es als schlecht zu bezeichnen, würde von Taubheit gegenüber der Popkultur zeugen. PSB sind sowas wie eine Zusammenfassung der Synthie-80er, und zwar auch und gerade im Nachhinein. Sie haben die 80er quasi historisiert, bevor sie Geschichte waren. Ihre Songs glorifizieren die Simplizität, in der sich die Eleganz des Pop zeigt, das Romantisch-Verklärte dieses Jahrzehnts. Eine perfekte Nostalgiemaschine.

Das Visuelle steht bei ihnen wie stets auf einer Stufe mit dem Klanglichen. Videos, Artwork und Bühnenshow waren immer extrem wichtig; Die Pet Shop Boys sind mehr Andy Warhol, als es Velvet Underground je waren. Darum wirkt ihre Bühnenshow auch 2016 nicht antiquiert. Obwohl jeder schon grüne Laser gesehen hat, scheint es, als hätte sie die Band gerade erst erfunden. Und sie sind so wenig ironisch wie das Neue Testament. Die Frage ist nicht: Wissen die Pet Shop Boys, dass sie eine ironische Band sind? Sondern: Kann Neil Tennant über Laser laufen wie Jesus über Wasser?

Ein Pet Shop Boys-Konzert enthält genug Laster für sieben Leben

Sehr nervig dagegen: Es gibt einen Deal zwischen Neil und dem Publikum, die ersten 60 Sekunden der Songs rhythmisch zu klatschen, aufzuhören, sobald er singt, dann (von ihm angefeuert) wieder rhythmisch zu klatschen. Neil, Leipzig, rhythmisch Klatschen ist böse. Eine der sieben Todsünden. Hochmut, Wollust, rhythmisch Klatschen, Gier, deines nächsten Weib, und so weiter. Aber sei's drum.

Es wird schwer sein, herauszufinden, wie die Besucher das Konzert fanden. Sie werden jetzt wochenlang nicht antworten können, weil ihre Gehirne "Go West" im Chor singen, während Phantasiearmeen vor vektorgrafikartigen Computerhintergründen durch selbiges hindurch marschieren.

Gibt es kein Entkommen? Nein, aber wer will schon entkommen. Es gibt nichts Besseres als schlechte Angewohnheiten. Oscar Wilde hat einmal gesagt, man besiege seine Laster am einfachsten, indem man ihnen nachgebe. Ein Pet Shop Boys-Konzert enthält genug Laster für sieben Leben, es ist eine Ansammlung von Songs, die man sonst nur heimlich oder sehr besoffen spielt, es ist ein Tag in der Badewanne, wenn man eigentlich zum Zahnarzt gemusst hätte, zwei zusätzliche Stück Zucker im Kaffee - es ist, was würde es besser ausdrücken: ein Pet Shop Boys-Konzert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: