Konzerthalle:Es riecht nach Fichte

Konzertsaal der Tonhalle Maag

Ein klares Rechteck, das ein wenig an den Herkulessaal erinnert: das eben eröffnete Ausweichquartier für das Tonhalle Orchester in Zürich.

(Foto: Christian Beutler/dpa)

Was München vom Tonhalle-Ausweichquartier in Zürich lernen kann

Von Egbert Tholl, Zürich/München

Einst wurden hier Zahnräder hergestellt, das war lange bevor das Viertel in wurde, aufregend, spannend. An die Zahnräder erinnern noch eine Projektion an die Außenfassade und vor allem die Lastkräne und die schweren Stahltraversen in den Foyers. Ein schöner Ort. Es gibt hier diverse Theken, eine eigenständige Bar in einem Raum der klassischen Moderne, Fensterwände mit zarten Sprossen und in der Mitte dieses großzügigen, leicht labyrinthischen Ambientes eine große Holzkiste aus Fichtenholz zwischen Stahlstreben. Der Raum im Raum ist ein Konzertsaal, Ausweichquartier des Tonhalle Orchesters Zürich, dessen Stammhaus für drei Jahre geschlossen ist, weil es renoviert wird. Die neue Halle heißt Tonhalle Maag.

Man kann in Zürich viel lernen für München, für das Ausweichquartier für die Philharmoniker genauso wie für den neuen Saal im Werksviertel. Vielleicht erinnerte Zürich-West vor 20, 30 Jahren an dieses. Dann verschwand die Industrie, und es kamen: der Schiffbau des Schauspiels Zürich und der darin befindliche beste Jazzclub der Stadt, die Zürcher Hochschule der Künste, die Probebühne des Opernhauses, Galerien, Restaurants. Am Rande des Viertels kann man hervorragende Vintage-Möbel kaufen, Clubs gibt es, auch die Maag-Halle war zwischen den Zahnrädern und der Tonhalle eine Eventhalle für Pop, Party und Techno, die die Besucher von damals nun kaum wiedererkennen werden. Geblieben ist nämlich die Maag-Music-Hall, in der laufen Musicals.

Es gab also eine Infrastruktur, dennoch sind die Schweizer selbst ein bisschen verblüfft (und sehr stolz), dass der Konzertsaal mit seinen Foyers, mit Räumen für die Verwaltung, für Proben und einem kleinen Kammermusiksaal in sieben Monaten geschaffen wurde, für zehn Millionen Franken, unfassbar günstig. 1,65 Millionen Franken kamen von der Stadt, den Rest musste die Tonhallengesellschaft auftreiben. Tonhalle-Pressesprecher Christian Schwarz meint zum Geld: "Wir selbst haben das ja nicht, aber es gibt ein paar, die das haben." Wie in München.

Allein die Architektur ist niederschwellig im Wortsinn, hat aber genug Grandezza für das Stammpublikum. Die Programmhefte gibt es nun kostenlos, neue Reihen werden geplant, auch für ein junges Publikum. Jedes Ausweichquartier ist auch eine Chance, hier wird sie genutzt. Von den maximal 1500 Plätzen sind in der alten Halle 1224 geblieben, also etwa der Münchner Herkulessaal, an den erinnert die Box auch ein bisschen: ein klares Rechteck, recht breit, es gibt also viel Platz auf dem Podium, oben läuft ein schmaler Balkon um, der sich an den beiden Stirnseiten auf je fünf Reihen vergrößert. Und es riecht herrlich nach Fichte.

Die Box im Bau war eine rein akustische Überlegung, billiger herzustellen, als das bestehende Gebäude selbst klanglich zu optimieren. Das Ergebnis gibt der Idee Recht. Der Raum fokussiert zwar den Klang, sitzt man eher links, überstrahlen die Geigen alles, aber er hat gerade noch genug Luft, dass er sich doch mischt. Eher trocken klingt der Saal, ein bisschen Studioatmosphäre, aber doch voller Wärme. Und licht ist er, hell, transparent. Zur Eröffnung spielt das Tonhalle Orchester, wie schon bei der alten Halle, Beethovens Neunte und ein zeitgenössisches Stück. Damals war dies Brahms, jetzt spielt Brett Dean, Hauskünstler der Saison, den Solopart seines Bratschen-Konzerts und demonstriert, wie kommunikativ und fein der Raum sein kann. Man ist nah dran. Auch beim Beethoven, der Chor harmoniert bestens mit dem Orchester, die Solisten prunken mit toller Prägnanz, Lionel Bringuier dirigiert mit straffer Verve. Nach Ausweichquartier klingt das nicht.

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