Konzert:Zornige Zwillinge

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In Havanna aufgewachsen: die Zwillingsschwestern Lisa-Kainde (links) und Naomi Diaz sind "Ibeyi". (Foto: imago)

Das kubanisch-französische Duo "Ibeyi" in der Kammer 1

Von Stefan Sommer, München

Sie dirigieren das weite Rund, wie einst Michael Schumacher zu seinen besten Zeiten: In ferrariroten Overalls stehen die Zwillingsschwestern Lisa-Kaindé und Naomi Diaz vor dem begeisterten Publikum in den Kammerspielen, schmettern a cappella ein kubanisches Volkslied und nutzen ihre Zeigefinger als Taktstöcke. Ibeyi, so heißt das Duo, spornen das Publikum an: Jeder solle seine "böse Energie" genau jetzt und hier weit wegstoßen; und die Leute im Saal stoßen in einem großen, von allen negativen Strömungen reinigenden Ritual nur so mit Händen und Füßen, als würde es in diesem Moment um Leben und Tod gehen.

Aufgewachsen in Havanna als Töchter der Buena-Vista-Social-Club-Legende Miguel Diaz, kamen die beiden Schwestern schon in ihrer Kindheit in Berührung mit dem kubanischem Spiritismus. Psalmen und Klagegesänge des Santerismus, der Hauptreligion der Insel, stehen auf ihren beiden Alben "Ibeyi" und "Ash" neben Beobachtungen der aktuellen politischen Großwetterlage: karibische Heiligenverehrung und Trumpsche Paranoia. Die Sprache der ursprünglich afroamerikanischen Lehre ist der Dialekt Yoruba - er kam mit den ersten Sklaven im 16. Jahrhundert ins Land der spanischen Konquistadoren. Ibeyi, die heute in Paris leben, singen ihre Diaspora-Dramen auf Englisch, Französisch, Spanisch und eben auch auf Yoruba. Die Band erarbeitet sich in ihren Songs eine eigene Sprache, die Kontinente, Weltanschauungen und düstere Episoden der Weltgeschichte verbindet und kritisch hinterfragt. Als Sujet und Stilmittel ist gerade die koloniale Historie ihrer kubanischen Heimat in den oft collagenhaft-konstruierten Stücken gegenwärtig: "Ibeyi" ist das Yoruba-Wort für "Zwillingsgottheit".

Überzeugt das Duo in Stücken wie "Away Away", "River" und "Deathless" auf Platte mit überraschenden Arrangements und zurückgenommener, minimalistischer Instrumentierung, beeindruckt bei ihrem Live-Auftritt gerade der Gesang der beiden Schwestern. Der warme, präzise Harmoniegesang von Lisa-Kaindé und Naomi Diaz hat die Wucht, Menschen für ihren Zorn und ihre Geschichten zu öffnen. Zwischen der heiligen Wut einer Nina Simone und der Coolness einer Missy Elliot beschreiben Ibeyi in Stücken wie "Oya" und "Mama says" stimmgewaltig ihre kubanischen Wurzeln und welche brutalen Erfahrungen sie auf Tour in der Welt gemacht haben. Ihre mit Kraft und Pathos vorgetragenen Serenaden erzählen kämpferisch von seelischen Verletzungen und Demütigungen, die sie als afro-amerikanische Frauen auf ihrer Reise erdulden mussten. Ihre Stücke sind feministische Selbstermächtigungen, wütende Buh-Rufe für die Welt der Weinsteins.

© SZ vom 23.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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