Konzert:Lulu am Pult

Konzert: Eine Ausnahmeerscheinung in der klassischen Musik: Barbara Hannigan, die zugleich singt und dirigiert.

Eine Ausnahmeerscheinung in der klassischen Musik: Barbara Hannigan, die zugleich singt und dirigiert.

(Foto: Musacchio & Ianniello)

Als Sopranistin und Dirigentin passt Barbara Hannigan nicht so recht in den von Männern geprägten Klassikbetrieb. Das spornt die eigenwillige Kanadierin aber gerade an

Von Rita Argauer

Einige Erniedrigungen muss die Protagonistin in Alban Bergs Oper "Lulu" erleiden. Dafür, dass diese Frau die Männerwelt durch ihre Erotik zu einem gewissen Maß zu kontrollieren vermag, wird sie schon im Prolog vorgeführt wie ein Tier im Zirkus. In München wird die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan nun die Lulu singen und gleichzeitig das Orchester dirigieren. Und irgendwie wirkt das auch wie eine Geste der späten Ermächtigung dieser Figur. Zumal Hannigan, die die Suite aus dieser Oper nun mit den Münchner Philharmonikern aufführen wird, eine Art geistiger Fusion von Künstlerin, Dirigentin und Rolle vollzieht, damit sie diese Doppelaufgabe hinbekommt.

Denn sie muss sowohl das Orchester im Blick halten und dem instrumentalen Spiel eine Linie geben, während sie gleichzeitig die Psyche der Rolle gestaltet. Hannigan begegnet dieser künstlerischen Zweiteilung mit einer Taktik der Verschmelzung: "Lulu ist die Architektin des gesamten Werks", sagt sie, "es ist also so, als würde Lulu selbst das Stück dirigieren, wenn ich sie singe". Gerade bei dieser Figur und angesichts der verschwindend geringen Zahl von weiblichen Dirigenten ist das auch ein schöner Kommentar zum immer noch männlich dominierten Klassikbetrieb.

Diese Eigenwilligkeit und Selbstbestimmung durchziehen Hannigans Karriere. Denn sie macht die Dinge prinzipiell ein wenig anders, als sie von begabten Sängerinnen erwartet werden. Hannigan hat sich etwa von Beginn an auf die Musik der Moderne und der Gegenwart spezialisiert. Anstatt die klassischen Rollen zu lernen, hat sie bis heute - mit 45 Jahren - um die 80 Uraufführungen gesungen. Im Jahr 2011 begann sie auch zu dirigieren. Mal singt sie gleichzeitig dazu, mal dirigiert sie nur. "Das Dirigieren fühlt sich nicht wie eine zweite Karriere an, es ist eine Erweiterung und eine Entwicklung für mich", sagt sie.

Dass Hannigan aber einen gewissen Spaß darin hat, die in Geschlechterfragen wie Spielplangestaltung immer noch sehr tradierten Strukturen des Klassik-Betriebs aufzurütteln, zeigt sich auch darin, wie sie über das restliche Programm spricht, das sie nun mit den Philharmonikern aufführen wird. Über Igor Strawinskys "Symphonie in drei Sätzen" etwa sagt sie: "Das ist ein fantastisches Stück, das selten gespielt wird und sehr maskulin, ja machoesk ist." Das zu dirigieren sei für sie natürlich besonders schön. Und György Ligetis "Atmosphères", mit dem das Konzert eröffnet wird, dient ihr als Stimmungsmaler für den Auftritt der "Lulu" - "Attacca", also ohne abzusetzen, wird sie davon in die Suite aus Bergs Oper übergehen.

"Ich habe die Musik der Moderne immer geliebt", sagt Hannigan. Dass sie dennoch an den großen Häusern gelandet ist und nicht in den Nischen-Produktionen der Off-Szene, ist außergewöhnlich. Normalerweise haken gerade die Opern- und Sängerstars in ihrer Karriere ein klassisches Rollendebüt nach dem anderen ab; Uraufführungen und moderne Musik bilden eher die Ausnahme. "Ich glaube, ich habe eine Art natürliches Verständnis für die Musik der Moderne", sagt sie - sie wisse nicht warum, sie wisse nur, dass sie sich zu dieser Musik von Anfang hingezogen gefühlt habe. "Und wenn man etwas liebt, dann kann man das auch gut weiter entwickeln und damit wachsen, das ist wie in einer Beziehung." Hannigan bringt die Moderne und Gegenwartsmusik mit dem Enthusiasmus zum Leuchten, mit dem sich andere Sopranistinnen etwa in ihr Rollendebüt der Violetta Valéry werfen. Damit versieht Hannigan die oft als sperrig verschriene Musik der Gegenwart auch mit einer Art der Zugänglichkeit und einem gewissen Star-Glamour. Und so reist sie von großen Opernhäusern zu großen Orchestern. In den nächsten zwei Jahren stehen alleine fünf Uraufführungen in Paris, London und Los Angeles an. Und eine an der Bayerischen Staatsoper, zu Details dazu muss sie allerdings noch schweigen.

Zu München hat Hannigan sowieso eine recht konstante Beziehung. Vor eineinhalb Jahren wirkte sie in der aufwendigen Inszenierung von Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten" an der Oper mit, auf dem Münchner Label "Winter & Winter" hat sie nun gerade ihr zweites Album mit Liedern von Erik Satie veröffentlicht, demnächst wird sie auch das Bayerische Staatsorchester dirigieren. Doch nun erst einmal die Philharmoniker. Mit denen klappe die Zusammenarbeit gut, sagt sie nach der ersten Probe. Hannigan glaubt, dass sie mit diesem Orchester recht weit gehen könne. Denn ihr Ziel beim Dirigieren sei, die Musiker so wenig wie möglich anzuleiten. "Ich möchte die Verantwortung mit meinen Kollegen teilen", sagt sie. Letztlich geht es ihr also nicht um eine neue Dominanz, sondern um gleichwertiges Zusammenkommen. Eine sehr zeitgemäße Auffassung.

Barbara Hannigan, Münchner Philharmoniker, Donnerstag, 28. April, 20 Uhr, weitere Konzerte am Freitag, 29., und Samstag, 30. April, Philharmonie, Gasteig, Rosenheimer Str. 5

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