Konzert:Leidenschaftliche Dramatik

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Bachs Johannespassion in der Philharmonie

Spätestens wenn Petrus, nachdem er den Herrn verleugnet hat, seine Verzweiflungsarie anstimmt: "Ach, mein Sinn, wo willst du endlich hin" könnte man sinnieren darüber, welcher Operndramatiker uns an Bach verloren gegangen ist. Denn das Klischee vom rationalen Fugenkonstrukteur und dem Pietisten der Kirchenmusik, das manche Pianisten der Nähmaschinen-Virtuosität pflegen, wird in der Johannespassion widerlegt. Bei Bach gibt es nicht weniger Affekt- und Emotionalpotenzial wie kontrapunktische Ratio, obwohl Hansjörg Albrecht in der Philharmonie den dramatischen Duktus erst nach und nach und ganz und gar nicht im Eingangssatz zuließ.

Er hält seinen Münchener Bach-Chor mit fast 60 Kehlen kontrolliert im Pianobereich, fast manieriert-romantisch zu Beginn, differenziert in den Chorälen, aber strahlkräftig in den Turbae-Szenen, stets gut ausbalanciert in den Stimmlagen. Träger leidenschaftlicher Dramatik aber wurden der Tenor Johannes Chum als Evangelist und in der bewegenden Gestaltung seiner Arien, nicht weniger wie Dietrich Henschel als Jesus. Als ungewöhnliche Bereicherung erwiesen sich drei Arien aus der Werkfassung von 1725, die Albrecht eingefügt hatte. Mit fein ziseliertem Sopran beeindruckte Dilyara Idrisova, mit noblen Timbre Bettina Ranch (Alt) und mit kraftvollem Bass Klaus Häger. Im präsenten Bach-Collegium faszinierten das kernige Kontrafagott, die virtuosen Querflöten und die delikate Continuo-Gruppe.

Es gab aber noch eine andere Dramatik, die wie ein zweiter Basso continuo die Aufführung begleitete: sie war auch ein Gedenkkonzert für den letzte Woche verstorbenen Johann Georg Prinz von Hohenzollern. Der musische Edelmann hatte die Musik geliebt, die Künste gefördert und mit seinem mäzenatischen Eros das Münchner Musikleben mitgestaltet. Jetzt nahm die 1986 von ihm mitbegründete Konzertgesellschaft München im Zeichen von Bachs Passion Abschied von ihm.

© SZ vom 21.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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