Konzert:Höchste Töne von alten Hasen

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Strukturell ist die "Night of The Proms" ein alter Hut. Dennoch bezirzt sie mit passgenauer Präzision fast drei Stunden lang die unterschiedlichen Generationen in der Olympiahalle

Von Ralf Dombrowski

Erfolg, heißt es, habe etwas mit Innovation zu tun. Das kann aber nicht alles sein, sonst würde die "Night of The Proms" nicht drei Tage in Folge in der Olympiahalle gastieren und mit euphorischer Resonanz durch die Republik touren. Denn strukturell gesehen ist die Veranstaltung ein alter Hut. Ihre Wurzeln reichen zurück bis hinein in das britische Empire, zu den damals beliebten Promenadenkonzerten, die klassische Musik ohne den Dresscode des Hochkulturbetriebs an flanierende, seit 1895 auch in Konzerthäusern sich tummelnde Normalbürger vermittelten. Die Idee der kulturellen Schichtüberschreitung mit viel unterhaltendem und einer Prise edukativem Programm mündete in die von der BBC ausgerichteten "Last Nights" in der Londoner Royal Albert Hall, die wiederum von 1984 an einen belgischen und ein Jahrzehnt später auch einen deutschen Ableger entwickelte.

Erfolg liegt in diesem Fall also nicht am Blick nach vorne, sondern eher an der Wertschätzung der Details. Die "Night of The Proms" ist das Spa des Konzertbetriebs. Der Kunde ist König, sein positives Erleben unbedingtes Ziel des Abends und so fängt die familiäre Stimmung schon bei der Security an, die im Unterschied zu vielen anderen Großereignissen nicht mit Muskelmasse und Söldnerblick protzt, sondern beinahe freundschaftlich Publikum und sogar Journalisten und Fotografen behandelt. Gemeinschaftsgefühle werden gehegt, angefangen bei den Balladen-LEDs, die dem Publikum für die wogenden Momente zugesteckt werden, bis hin zu der, von Bewegtheitsmomenten wie der Unfall- und Überlebensgeschichte von Doris aus Rosenheim untermauerten Kuschelmoderation eines Markus Othmer, dem es gelingt, trotz großer Runde in der Olympiahalle Wohnzimmeratmosphäre zu generieren.

Und dann ist da das Programm selbst. Mit passgenauer Präzision werden über fast drei Stunden hinweg die Generationen bezirzt. Für die Youngsters einerseits und die Großeltern auf der anderen gehört ein Newcomer in den Ablauf, in diesem Fall die 16-jährige Amerikanerin Emily Bear, die als Nachwuchspianistin und unverkrampft charmanter Blickfang den Ablauf klammert und mit virtuosen, wenn auch stellenweise etwas schlampig gespielten Solo-Stücken und Showbiz-Einlagen wie einem über dem Publikum schwebendem Klavierpodest Staunen hervorruft.

Die potenzielle Jugend wird über Culcha Candela angetriggert, die als smarte Hip-Hop-Jungs Party-Stimmung vermitteln. Den Faktor des Wiedererkennens bedient Peter Cetera, einst Sänger der Pop-Rocker Chicago, deren Lieder-Schmelz längst zum Fundament des reiferen Format-Radios gehört. Für die Hits der späten Neunziger ist das ehemalige Spice Girl Mel C im Team des Abends. Der Sänger John Miles sorgt als Maskottchen der Reihe unter anderem mit dem Pathos-Schlager "Music" für den sicheren Wiedererkennungseffekt und die Hymnen zum Abbinden der Stimmung in Richtung Showfinale liefert der Supertramp-Troubadour Roger Hodgson.

Das Flair des Klassischen fügen außerdem das von Alexandra Arrieche geleitete Antwerp Philharmonic Orchestra hinzu, eher zu wenig Chor ist mit dem Ensemble Fine Fleur auch dabei. Im Unterschied zu den ursprünglichen Proms ist dieser Teil des Programms inzwischen mehr Intermezzo und Rahmen als Schwerpunkt. Auch die Wahl des Repertoires mit Gassenhauern wie dem Grieg'schen Bergkönig, einem bisschen Schwanensee, einem nicht wirklich pathetischen "Halleluja" aus Mozarts Feder, ergänzt um angedeuteten Rachmaninoff, einen Hauch von Beethoven und Tschaikowski, darüber hinaus etwas Filmmusik und eine Hommage an den Soundslapstick historischer Cartoons will keine Wege weisen, sondern Klargewissheiten planieren.

Aber gerade das macht aus der "Night of the Proms" am Ende das Hochgefühl eines musikalischen Kurzurlaubs. Man lässt sich von dem Konzert einfangen, von der optisch ansprechenden, aber nicht protzenden Gestaltung, von den präsenten, jedoch nicht aufdringlichen Revue-Momenten und der Harmonie eines auf positive Weise kantenlosen Programms, in dessen Sicherheit und ästhetischer Zweifelsfreiheit man sich vertrauensvoll einbettet. Nichts an dem Abend in der Olympiahalle ist wirklich neu, aber alles irgendwie gut, und das ist eine große veranstalterische Leistung in Zeiten, wo das rüde Rumpeln immer populärer wird.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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