Konzert:Geliebter Seehund

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Ganz bei sich, ganz bei allen: Herbert Grönemeyer tanzt seinen eigenen Stil - und wirft sich dann mitten im Konzert in die Arme seiner Fans. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Ein Wohlfühl-Abend mit Herbert Grönemeyer in der Olympiahalle

Von Michael Zirnstein, München

Selbst im finstersten Augenblick dieser Nacht ist ihr Strahlen mächtig: Mit Grubenlampen auf der Stirn funzeln sich die Musiker durchs Dunkel zu ihrem Platz. Aus dem Nichts sollte jetzt seine Stimme kommen. Aber wo bleibt Herbert? Verspätet setzt er ein in "Unter Tage", diesem Song aus dem Bergwerk der Seele: "Ob ich dich mag / Hat hier kein Gewicht / Wichtig ist / Du ziehst mich ans Licht." Der Auftakt zu Grönemeyers erstem von zwei Konzerten in der Olympiahalle ist ein Suchspiel für Ohr, Auge, Herz und Hirn, perfekt inszeniert von dem ewigen Theatermusiker - und dank des menschlichen Makels doch einmalig.

Mehrmals erklärt der Pop-Haudegen, der eine halbe Million Tickets für seine Hallentour zum zwölften Nummer-eins-Album verkauft hat, wie aufgedreht er sei. Wegen des Gedränges im Olympiapark ( AC/DC im Stadion) habe er später anfangen sollen ("die Warterei macht es noch schlimmer") und dann eben den Einsatz verpennt. "Ich bin ein entspannter Typ, aber auch sehr aufgeregt. Ich denke, diese Mischung macht's." Und lacht. So nett, der Herbert halt. Und wie er ständig winkt, auch mitten im Song, feixt und tänzelt, als wolle er ein Baby zum Lachen bringen.

Oft wie nie zuvor redet das verknautschte Mondgesicht. Erklärt, warum "Schiffsverkehr" sein müsse, "ein Lied, das keiner braucht, das keiner versteht". Er will, dass alle es mögen wie er. Dann swingt die Pauke, dann grollt und rollt der Rockspaß - und alle mögen es. Wer zu Hause das Album "Dauernd jetzt" auflegt - also nicht die Klassiker aus der frühen Eins-zu-eins-Phase wie "Alkohol", "Männer", "Was soll das?" oder "Musik nur wenn sie laut ist", die sich selbst erklären und die im Konzert die Anhänger in seligen Taumel versetzen - der muss sich auf die poetisch offenen neuen Nummern einen eigenen Reim machen. Gut, dass der Verfasser auf der Bühne Verständnishilfen gibt: In "Uniform" gehe es darum, dass jeder ein Recht auf sein "privates Sperrgebiet" habe, in "Unser Land" darum, wie "Mutter Merkel" die Volksfamilie belügt, und wer "Roter Mond" für ein tragisches Liebeslied hielt, weiß nun: Herbert lotet darin aus, wie sich ein Flüchtling im Boot fühlt, was ihn hält auf abgrundtiefem Meer. Dazu paddelt auf dem wandelbaren Bildschirmkunstwerk in Zeitlupe ein Elefant durchs Blau - eine weitere Wasser-Assoziation und -Emotion, wie sie auch Grönemeyers theatralisches Spiel mit der Stimme auslöst: Mal bellt er wie ein Seehund, mal vollführt er als Countertenor Kunststücke wie ein Delfin, mal zieht er athletisch Bahnen, mal rudert er schnaufend gegen den Mahlstrom an. Licht, Dunkel, Bild, Klang, Stille, Tanz, Verstand, Gefühl - da will einer ganz und gar geliebt werden. Und er wird es. Herbert Grönemeyer, der holistische Künstler.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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