Konzert:Der Moment zählt

Lesezeit: 3 min

Nur wenige klassische Pianisten können auch improvisieren. Younee beherrscht dies ebenso virtuos wie den Umgang mit Pop-Melodien. (Foto: Na Young Lee)

Die Südkoreanerin Younee verbindet eine klassische Pianoausbildung mit Improvisationstalent. Ihr neues Album stellt sie in Pullach und Fürstenfeldbruck vor

Von Oliver Hochkeppel

Niemand nimmt im Café Haidhausen Notiz von Younee, obwohl sie auffällig gekleidet ist. In ihrer Heimat Südkorea wäre das anders. Da ist die Pianistin immer noch ein kleiner Star. Trotzdem hat sie sich vor ein paar Jahren entschlossen, nach Europa zu gehen. Was nicht zuletzt mit ihrer Mode-Vorliebe samt dem das Klischee bestätigenden Schuh-Fimmel zusammenhängt, die sie hier ausleben kann. "In Korea musst du dich in einer bestimmten, erwarteten Weise präsentieren", sagt sie. Nach einer Zwischenstation in England ist sie schließlich in Franken gelandet, auf dem Land nahe Ansbach. Was mehrere Vorteile hat: Die Ruhe, in der sie sich auf ihre Musik konzentrieren kann. Und das große, gleichwohl bezahlbare eigene Studio im Loft-Stil, in das soeben ein Steinway D Einzug gehalten hat.

Ein exzellentes Instrument ist bei Younee kein Luxus. Kommt doch erst da ihre brillante Technik zum Tragen, die sich die Koreanerin früh in der Klassik erworben hat. Im Alter von drei Jahren begann sie mit dem Klavierspielen, ganz konsequent folgte ein Studium an der Yonsei University in Seoul, das sie mit dem Examen als Konzertpianistin abschloss. Siege bei einigen Wettbewerben und Festivalauftritte folgten, der weitere Weg wäre vorgezeichnet gewesen, hätten sich da nicht immer schon auch andere musikalische Adern Bahn gebrochen: "Schon als Kind habe ich frei gespielt, mir Melodien einfallen lassen." Auf eigene Faust hat sie das Pop-Album "Love" produziert, das in ihrer Heimat sehr erfolgreich ist. Und bald schrieb sie Songs für die koreanische Pop-Prominenz und für das Fernsehen. Ihr Titelsong für das TV-Drama "Famous Princesses" wurde ein Nummer-Eins-Hit.

Doch auch das reichte ihr nicht. In England widmete sie sich dem Jazz, spielte mit Größen wie Gary Husband oder Derek Watkins und nahm das Album "True To You" auf, das ihr einen Music Aid Award in der Kategorie "Best Songwriter" einbrachte. Nach Auftritten in den besten britischen Jazz-Clubs wurde sie in den erlesenen Kreis der Pianisten berufen, die beim "Steinway Festival" in London spielen dürfen. Schnell war ihr das Festgelegtwerden auf einen Stil zu wenig. Nach Deutschland übergesiedelt, begann sie, alle ihre Fähigkeiten und Leidenschaften in ihrem Spiel zu bündeln: die klassische Technik und Formensprache, die melodische Kraft des Pop sowie die rhythmische Finesse und improvisatorische Freiheit des Jazz.

Auf dem vor zwei Jahren erschienenen Album "Jugendstil" arbeitet sie all dies an klassischen Vorlagen ab, von Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung" über Beethovens Fünfte bis zu Mozart, Debussy, Chopin, Bizet oder Rachmaninoff. Was leicht in Kitsch hätte enden können, entwickelt bei Younee eine erstaunliche Kraft. Mitunter ganz nah am Original, dann wieder ganz frei in Blues-Skalen, vertrackte Off-Beats oder freche Harmonien aufgelöst, breitet sie das gerne vergessene oder unterdrückte interpretatorische Potenzial der klassischen Musik aus. Und erweist sich selbst als einer der wenigen Klassik-Könner, die auch wirklich improvisieren können.

Was sie auf ihrem neuen Album "My Piano" sogar noch ausgebaut und weiterentwickelt hat. Nun sind es zwölf eigene Kompositionen, bei denen sie ihre souveränen Stilüberschreitungen vorexerziert. Soul und Gospel, Fugenthemen, Stride Piano, furiose Läufe oder wuchtige Pop-Akkorde reichen sich harmonisch die Hand, ohne je platt oder klischeehaft zu klingen. Auf zwei Bonustracks singt sie diesmal sogar, und das mit erstaunlicher Kraft und Präzision. Allen Songs liegen Improvisationen zugrunde, und wie das funktioniert, beschreibt Younee anschaulich für "The Moment": "Auf dem Heimweg bekam ich plötzlich einen Hexenschuss. Es war, als würde ein Blitz in mir einschlagen, und dabei habe ich durch den Schmerz hinweg zwei Akkorde gehört. Während man mir half, wieder auf die Beine und nach Hause zu kommen, habe ich mir diese Akkorde gemerkt und später aus ihnen und mit dem Gefühl dieser Hilflosigkeit den Song am Klavier entwickelt." Ihre außergewöhnliche Begabung, aus dem Moment heraus Musik zu erfinden, wird Younee nun in Pullach und bei "JazzFirst" in Fürstenfeldbruck demonstrieren - unter erfreulicheren Begleitumständen.

Younee , Dienstag, 6. Dezember, 20 Uhr, Bürgerhaus Pullach; Mittwoch, 7. Dezember, 20 Uhr, Veranstaltungsforum Fürstenfeld

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: