Konzert: Bryan Ferry in London:In Opulenzgewittern

Zentnerschwere Melancholie, jauchzende Selbstironie: Als größter Anzugträger aller Zeiten feiert Bryan Ferry mit einer Show wie aus dem Edelpuff ein triumphales Alterswerk - sein neues Album "Olympia".

Alexander Gorkow

Es ist erst ein paar Jahre her, da holzte ausgerechnet der Filigrandandy Bryan Ferry im Münchner Circus Krone ein Programm mit Coverversionen von Bob Dylan 'runter, und erst als er im letzten Drittel des Konzerts die Lippen spitzte und die Melodie von Lennons "Jealous Guy" pfiff, kriegte man sich langsam wieder ein. Bis dahin war die Darbietung so anmutig verlaufen wie eine Traktorfahrt.

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In altersloser Grandezza, die Stilikone des Pop: Bryan Ferry.

(Foto: AFP)

Wenn man Ferrys Auf- und Zusammenbrüche rund 30 Jahre lang in Konzerten und Interviews verfolgt hat, seine zentnerschwere Melancholie, seine leise jauchzende Selbstironie, so konnte man dem Schmerzensmann in seinem durchschwitzten Dreireiher von der Savile Row im Circus Krone schon wieder nicht böse sein.

Einmal wollte also auch er - der Erfinder des Aufwands, der Pate des psychosomatischen Rückenschmerzes - einfach mal 'rumscheppern. Also hatte er in nur ein paar Tagen diese Dylanplatte aufgenommen ("Dylanesque", 2007) und gab nun Konzerte, die so bewegend waren wie Kopfhautjucken. Im Interview schwärmte er damals, wie leicht das Leben sogar für ihn sein könne, hach ja, und erzählte vom Landleben in Surrey und seinen fünf Hunden.

Nett, dieser plötzlich unkomplizierte Bryan Ferry. Und natürlich dachte man: Na warte, parfümiertes Freundchen, bis die Fürsten der Finsternis Dich in Deiner mit Chintz und weißen Rosen vollgestopften Lasterhöhle von einem Townhouse am Sloane Square wieder am Wickel haben! Das war 2007.

Tollste Dekadenz und also tolle Kunst

Exakt seit vorgestern Abend, als er in der Londoner Galerie "Philips de Pury", einer ehemals Königlich Viktorianischen Poststation, mit einem Fest und einem Konzert sein neues Album "Olympia" (Virgin/EMI) vorstellte, kann man die burleske Rumpelphase Ferrys zu den Akten legen. Schon die irgendwie orientalisch anmutende Klangwand der ersten Takte ("In a discotheque at dawn / That's when it came to me") wirkt auf das aufwendig tapezierte Londoner Volk hier in Westminster, als habe wer die Töpfe mit dem Opium zum Kochen gebracht.

Ersichtlich feiert Ferry mit diesem Alterswerk eine Rückkehr im Breitwandformat, zelebriert mit einer Show wie aus einem Edelpuff im Marokko der zwanziger Jahre. Gut, wieso nicht: Auf den Londoner Straßen regnet es, die sagenhaftesten Sozialkürzungen in der Geschichte des Königreiches sind sogar in der in crowd ein Thema bei Wodka mit frisch gemahlenem Pfeffer und english tapas, so nennen sie hier tatsächlich Wachteleier mit Kaviar. Die Obdachlosen hingegen wurden eben erst draußen um die Ecke mit dem gefüttert, was Sainsburys nicht mehr für frisch hielt, und immer schon ist exakt in diesen Stunden in der schrecklich schönen Stadt London tollste Dekadenz und also große Kunst ausgebrochen.

Die Puppen tanzen

Auf "Olympia" - der Titel ist angelehnt an Edouard Manets Skandalgemälde aus dem Jahre 1863, das nicht ganz perfekt beleuchtet im Musée d'Orsay in Paris hängt - räkelt sich die von Fotograf Adam Whitehead göttlich aufs Laken gegossene Kate Moss. Die großen Steine um ihren Knabenhals stellte freundlicherweise das Londoner Schmuckhaus S.J. Phillips von der New Bond Street zur Verfügung. Christian Louboutins Platz in den Credits verdankt sich seiner erstklassigen Auswahl an Fuck-Me-Stilettos für die beiden neuen Por . . . beiden neuen Promo-Videos, in denen sich die heißesten Hühner Sohos an den Wänden einer Dancehall reiben, von Ferry abgewandt.

Der steht auch am Dienstagabend in altersloser Grandezza und Weltabgewandtheit auf der Bühne, die Stilikone des Pop, die gottgleich höchstens für Sekunden durch die Wolken auf die aufgebrezelten Schäfchen unten blinzt. Man muss sagen: Er sieht sagenhaft gut aus, besser als früher, denn damals haftete ihm ja, wenn man mal ehrlich ist, immer auch ein bisschen was von einem Lockvogel aus der Frankfurter Rotlichtszene an. Hier aber, beim kleinen Galeriekonzert in Westminster, ist der Exzentriker mit 65 Jahren endgültig zum last gentleman hero geworden, der rechts und links der lila Bühne seine Sopransängerinnen antreibt, eine heitere Schlusstrich-Interpretation davon, die Puppen nun mal tanzen zu lassen.

Wenn schon, denn schon. Schon das Mosaik, das Ferry auf "Olympia" zusammenbastelt, ist schwindelerregend. Alleine die Liste der von ihm ausgebeuteten Gastmusiker von Radiohead, den Red Hot Chili Peppers, Chic, Pink Floyd und anderen ist so bizarr heterogen und vor allem groß, dass sie leider nur auf eine Papyrusrolle passt und vollständig nicht in einen Zeitungsartikel.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum London besser passt als Berlin.

Zurück zu alter Schwäche

Es ist dabei ein dichtes, farbensprühendes Eros-Monster aus Musik entstanden, nie penetrant, oft abgedreht, öfter auch linkisch, plötzlich fesselnd, und wieso bloß atmet man auch ohne Opium bei dem umwerfenden Lied "Reason Or Rhyme" den Geruch großer Mischwälder im Herbst?

Auch lyrisch ist Ferry hier in großer Form, was für diesen aus dem 19. Jahrhundert gefallenen Romantiker nur heißen kann, die Erlösung von seiner Londoner Edelmann-Einsamkeit in der Anrufung des Himmels zu suchen. Tatsächlich verneigen sich nun vor der Angebeteten in einem der schönsten Liebesreime, die Ferry bisher geschrieben hat, Sonne, Mond und Sterne: "The sun and moon and all the stars / They bow down to you whenever you pass." Das ist niederschmetternd gut.

Kein Wunder also, dass frühe und späte Mädchen an diesem Abend in der ehemaligen Londoner Poststation ein bisschen weinen müssen. Musikalisch hat "Olympia" einen wirklich schwülen und durchtriebenen Sexappeal. Er speist sich aus pumpenden Bässen, aus chopinartigen Pianoperlen, mindestens aus dem Weltraum zugeschalteten Gitarren des alten David Gilmour und des grandiosen, erst 22-jährigen Oliver Thompson, addiert mit dreister Disco von den Zuarbeitern der New Yorker Scissor Sisters und der Groove Armada aus Cambridge für den hinreißenden Club-Kracher "Shameless".

Heißer Herbst

Man steht also schon zwischen den Klangwänden der neuen CD wie in einer, sagen wir, von Diane von Fürstenberg gestalteten Suite im Claridge's herum. All dies vibriert zwischen Jugendstil und Art Deco, man staune nur über dieses Detail, eile zum nächsten, ein Opulenzgewitter, sympathisch überteuert und doch sorgsam tuffig, eben London - und nicht nach frischer Farbe und Russland riechend wie die entsprechend vulgären Noblessebemühungen in Berlin.

Melancholiker finden in großen Momenten nicht zu alter Stärke, sondern zu alter Schwäche zurück. Ferrys Schwäche, und die seiner Band Roxy Music war sicherlich stets eben diese schwüle Frickelei, das selbst in der Euphorie Depressive. Eigentlich ist "Olympia" eine perfekte Roxy-Music-Platte, schon der spannungsvoll schwimmende Keyboard- Groove zu Beginn des ersten Songs "You Can Dance" ist eine freche Anknüpfung an das 1982er-Meisterwerk "Avalon", und die achtziger Jahre wären einem bekannterweise in besserer Erinnerung, wären sie nach dieser Platte einfach beendet worden.

Man geht sonderbar gestimmt aus der heißen Galerie zurück in den Londoner Regen nach dieser Party am Dienstagabend , zurück in den Herbst der Renegaten: Phil Collins, Van Morrison Robert Plant, Eric Clapton, Neil Young, und neben vielen anderen nun auch der Größte Anzugträger aller Zeiten Bryan Ferry - die in den sechziger Jahren explodierten Jungen des Pop, sie feiern mit 60 plus in diesem Jahr einen so heißen Herbst, dass man sich als Nachgeborener fragt, in welches Fass die damals alle gefallen sind. Jedenfalls müssen wir dankbar sein, dass wir das noch erleben dürfen.

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