Konzert:Alles andere als naiv

Vicky Leandros in Berlin

Vicky Leandros während der "Das Leben und ich"-Tour.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Vicky Leandros steht seit 50 Jahren auf der Bühne - trotzdem wird sie hierzulande oft noch als Schlagersängerin unterschätzt

Von Michael Zirnstein

Ihr neues Album heißt "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Vicky Leandros meint das selbstironisch, aber durchaus ernst. "Ich werde älter, nicht unbedingt weiser", sagt die 63-Jährige während des Interviews im Hotel Bayerischer Hof. "Ich merke, dass ich einige meiner Fehler wiederhole." Doch wie bei Sokrates spricht aus dem Titel auch die Reife eines vielschichtigen Lebens. Die griechische und deutsche Staatsbürgerin ist ja nur zum bekannteren Teil Musikerin. Die Angebote, Kultursenatorin von Hamburg und Berlin zu werden, schlug sie zwar aus. Aber 2006 ließ sie sich von Giorgos Papandreu überreden, in Piräus für die Sozialdemokraten zu kandidieren. Als Zweite Bürgermeisterin der Hafenstadt setzte sie sich besonders für Migranten und Kultur ein - und verband beides, etwa in einem Projekt der städtischen Orchestermusiker mit Flüchtlingskindern.

Mit Papst Benedikt XVI. und seinem Sekretär Georg Gänswein trieb sie die Annäherung der katholischen und der griechisch-orthodoxen Kirche voran. Für ihr Engagement in mehreren Kinderhilfswerken erhielt sie jüngst das Bundesverdienstkreuz am Bande. In der Society-Presse legendär sind die Tafelrunden im Haus der "Menschenfängerin" (Bunte), bei denen die Bundeskanzlerin Stammgast sein soll. Vicky Leandros geht es aber nicht um die Prominenz: "Ich schätze gute Freunde, die mehr wissen als ich. Diese Gespräche und Diskussionen bringen mich weiter."

Naiv war Vicky Leandros schon als Teenager nicht. Als Mädchen aus Korfu in Deutschland wusste sie genau, was sie wollte. "Es hat mich gereizt, eine anerkannte Sängerin zu werden", erinnert sie sich heute an den Beginn ihrer nun 50-jährigen Karriere. Wie man im Musikgeschäft erfolgreich ist, sah sie an ihrem Vater. Aber der griechische Sänger und Komponist Leandros Papathanasiou alias Leo Leandros dachte gar nicht daran, seine Tochter zu unterstützen. "Er hatte ja schon Welterfolge mit anderen Künstlern wie Julio Iglesias, Demis Roussos oder Nana Mouskouri, dafür brauchte er seine kleine Tochter nicht. Er wollte partout nicht, dass ich singe."

Freilich sang sie trotzdem, trainierte ihre Stimme, lernte auf eigene Faust Gitarre, Ballett, Musical-Dance und mehrere Sprachen - das Rüstzeug für die Show-Laufbahn einer unabhängigen Frau in einer männerdominierten Branche. Viele Frauen und auch Schwule verehren sie seitdem als eine Art Freiheitskämpferin. Sie brachte den Vater dann doch dazu, eine Single mit ihr aufzunehmen: "Messer, Gabel, Schere und Licht" wurde 1965 ein Erfolg in Deutschland. Ein Jahr später warb schon ein Spruch auf ihrem ersten Album "Songs und Folklore" für die 14-Jährige: "Vicky kann sich getrost in den Kreis der sängerischen Weltelite einordnen." Das hält sie heute "für anmaßend", erwies sich aber schon bald als wahr. Konzerte zu geben, verbot Leo Leandros der Schülerin zwar ("Das lernst du später."), aber einen Fernsehauftritt pro Land und Jahr erlaubte er ihr. So sang sie 1967 für Luxemburg - ihren Französisch-Kenntnissen sei dank - beim Grand Prix de la Chanson. Mit "L'amour est bleu" landete sie auf Platz 4 - und einen Hit von Kanada bis Japan. Es ist das angeblich meistverkaufte Eurovisions-Lied. Vermutlich dicht gefolgt vom acht Millionen mal verkauften "Après toi" aus der Feder von Klaus Munro und Leo Leandros, mit dem sie 1972 als 20-Jährige endlich für Luxemburg in Edinburgh den Grand Prix gewann. Damals war das noch ein Garant für weltweite Aufmerksamkeit. "Der Wettbewerb war sehr wertig, viele international bekannte Künstler traten an."

Ihr erstes Album hatte bereits die typische Mischung für die nach der deutschen Nummer 1 "Theo, wir fahren nach Lodz" hierzulande oft als Schlagersängerin unterschätzte Vicky Leandros: deutsche Sehnsuchtslieder ("Wo find' ich Liebe"), Griechisches ("To Traino"), Französisches (etwa Bob Dylans "Don't Think Twice" als "Ny pense plus") und Englisches ("There But For Fortune" von Joan Baez). "Ich empfinde eh, dass diese Kulturen eine Einheit sind", sagt sie. Das Debüt von 1966 klingt so modern und elegant, dass Sammler selbst die zum 60. Geburtstag veröffentlichte CD-Box "A Taste of The Sixties" mit den ersten vier Alben heute für gut 200 Euro handeln.

Viele ihrer Klassiker wie "Ich liebe das Leben" seien gar nicht autobiografisch gedacht gewesen, sagt sie, "aber mit der Zeit sind sie es geworden". Noch persönlicher sind die neuen Lieder, die sie seit 15 Jahren auch selbst schreibt oder gute Freunde schreiben lässt - wie 2009 Xavier Naidoo das Album "Möge der Himmel" oder Peter Plate von Rosenstolz die aktuelle Single "Das Leben und ich". Der von der Bouzouki begleitete Titelsong "Ich weiß, dass ich nichts weiß" gibt nach sage und schreibe 560 Veröffentlichungen die Richtung für das vor, was ihr eben doch am liebsten ist: die Konzerte. "Vernunft und Spaß sind zweierlei, das hab' ich erkannt / . . . / Vernünftig kann ich morgen sein, doch nicht heute Nacht"

Vicky Leandros, Mi., 4. Mai, 20 Uhr, Deutsches Theater, Schwanthalerstr. 8, 21 83 73 00

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: