Konsumchaos:Na, Logo!

Jedem Mädchen, jedem Jungen eine eigene Marke - die Jugend von heute macht Mode- und Marketingleute langsam wahnsinnig. Nur Amerika hat auf das Konsumchaos in der begehrtesten Zielgruppe wirklich schlaue Antworten.

Andrian Kreye

Wenn Marc Ecko sagt, dass die großen Marken ihre natürlichen Grenzen erreicht haben, klingt das zunächst einmal revolutionär, zumal der 33-Jährige mit seinem Wüstenkriegskäppi und der Trainingsjacke genauso aussieht, wie all die jungen Menschen, die Naomi Kleins "No Logo" gelesen haben und gegen Klimawandel, Krieg und Kapital protestieren.

Ecko, AP

Marc Ecko

(Foto: Foto: AP)

Andererseits hat Mark Ecko eine jener Karrieren gemacht, die in Amerika als Beispiel für den amerikanischen Traum verkauft werden. Weswegen seine Bemerkung weniger eine Kampfansage als eine präzise Marktbeobachtung ist.

Der jungenhafte Unternehmer mit dem stechenden Blick und dem wiegenden Gang eines Boxers hat während seiner Schulzeit T-Shirts mit Graffiti besprüht, die Uni geschmissen, dann die erste Inkarnation seiner Jugendmodefirma mit sechs Millionen Dollar Schulden fast in den Bankrott gefahren, bevor er gemeinsam mit Wirtschaftsberatern das Ruder herumwarf.

Nun wird er mit 1,2 Milliarden Dollar Jahresumsatz neben dem "American Apparel"-Gründer Dov Charney als einer der Männer gefeiert, die den Heiligen Gral der Marketingbranche gefunden haben: einen Schlüssel zum Rätsel Jugendmarkt. Deswegen glaubt man ihm solche Sprüche wie den vom nahen Ende der großen Marken auch.

Bei der Eroberung des Jugendmarktes nutzt einem ein Betriebswirtschaftsstudium auf einer Eliteuniversität wie der Harvard Business School inzwischen wenig, solche Kompetenzen kann man sich später kaufen, um den Erfolg zu verwalten und den Aufstieg in die Liga der Konzerne zu konsolidieren - so wie Marc Ecko das gemacht hat. Nein, wer sich die Herzen und vor allem die Kaufkraft der Jugend sichern will, der braucht jene Mischung aus Glaubwürdigkeit und Instinkt, die man hier in Amerika "Street Credibility" nennt.

Die demonstriert Marc Ecko an jeder Ecke seiner Firmenzentrale, die er vor ein paar Monaten bezogen hat. Ein klassisches Cast Iron Building im New Yorker Stadtteil Chelsea hat er gepachtet, eines jener großen ehemaligen Manufakturgebäude, die mit gusseisernem Zierwerk und Stuck an eine Zeit erinnern, als die Fabrikbesitzer noch stolz auf ihre Werke waren.

Das war lange bevor die Konzerne begannen, Stadt und Land mit den Platten- und Mehrzweckbauten zu überziehen, mit denen Amerika heute eher an eine DDR mit Kabelfernsehen erinnert, als an die Verheißung der Neuen Welt.

Aber auch das gehört zu Marc Eckos Konzept, denn ohne ein gewisses Maß an Stolz und Würde und ein Umfeld, in dem sich seine Mitarbeiter mit dem identifizieren können, was sie verkaufen, würde sein Geschäft nicht funktionieren.

Na, Logo!

Da ist es genauso wichtig, dass vor der Firmenzentrale die geschäftige 23. Strasse liegt und kein Industriepark. Die Mitarbeiter sollen morgens mit der überfüllten U-Bahn in die Arbeit kommen und nicht mit dem Kleinwagen. Kern des Gebäudes ist Marc Eckos Chefbüro, in einer zweistöckigen Basketballhalle untergebracht, an deren Spielfeldrand sein Schreibtisch steht.

Sieben Firmen hat er in seinem Konzern versammelt. Neben seiner Stammmarke Ecko Unlimited, die mit ihrem Nashornlogo seit ein paar Jahren fest zum Straßenbild der amerikanischen Großstädte gehört, den immer noch wachsenden Markt des Hip-Hop abdeckt und inzwischen in zwölf Einzelkollektionen unterteilt ist, gehören zu seinem Imperium die Modemarken Zoo York für die Extremsportgeneration, Cut & Saw für den schon etwas erwachseneren Hip-Hopper und die etwas noblere G Unit-Kollektion, die er gemeinsam mit Rapstar 50 Cent herausgibt.

Weil Ecko aber weiter expandieren und deswegen in die großen Kaufhausketten muss, hat er neulich die Firma Avirex gekauft, die mit ihren beschrifteten Lederjacken und ihrem Pilotenflair eher den Markt der Pilstrinker und Kleinwagenfahrer anspricht. So kann Ecko sowohl die Nischen als auch den Massenmarkt bedienen und gleichzeitig die Glaubwürdigkeit seiner Marken und somit den Hipnessfaktor beibehalten.

Um Kleider und Mode geht es bei Ecko sowieso nur noch in zweiter Instanz. Jede einzelne seiner Firmen ist ein so genannter "Lifestyle Brand", und da reicht es auch längst nicht mehr, nur eine Produktlinie zu verkaufen. "Wenn man wirklich ein Lifestyle Brand sein will, muss man seine Kunden vollkommen in die Marke einbetten."

Weswegen Marc Ecko eine Zeitschrift gegründet und sein erstes Videospiel veröffentlicht hat. "Marc Ecko's Getting Up" heißt das Spiel, in dem die Hauptfigur ein revolutionärer Graffitisprüher ist, dessen Graffitischriften von 50 der besten "Tagger" entworfen wurden und dessen Stimme vom Rapstar Talib Kweli eingespielt wurde.

Ganz neu sind die Geschäftsmethoden von Ecko Unlimited nicht.

General Motors vereinte schon Anfang des 20. Jahrhunderts verschiedene Automarken wie Buick, Cadillac, Chevrolet und Oldsmobile in einem Konzern und begann schon früh damit, für jede Marke ein eigenes Marktsegment zu definieren. Der Konzern hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Konsumenten durch sein Leben als Autofahrer zu begleiten, vom ersten Chevrolet über den sportlichen Oldsmobile und den komfortablen Buick bis zum luxuriösen Cadillac sollten die Automarken steigendes Lebensalter und Einkommen widerspiegeln.

So einfach funktioniert Marketing heute nicht mehr, denn die Kontinuität der gesellschaftlichen Parameter wie Lebensalter, Einkommen und Konsumverhalten haben so viele Umwälzungen hinter sich, dass sich die Marketingbranche ständig Gedanken über gesellschaftliche Veränderungen machen muss.

Begonnen hat die Entwicklung, als die bis dahin weitgehend in sich geschlossene Konsumgesellschaft mit der Rebellion der Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren erstmals Zerfallserscheinungen zeigte. Die Autoindustrie erfand damals einen neuen Konsumententypus, der bis vor kurzem noch der einfachste Schlüssel zu einer Gesellschaft war, die mit ihrem extremen Individualismus im ständigen Spannungsverhältnis zu den Prinzipien der Massenanfertigung stand: "The Rebel Consumer".

In ihren Anzeigenkampagnen für jugendliche Spaßfahrzeuge wie den Dodge Charger und den Ford Mustang propagierten die Konzerne aus Detroit den Aufstand gegen Konventionen und Zwänge. Dodge stilisierte den Autokauf mit einem neuen Slogan 1965 gleich zum subversiven Akt: "Join the Dodge Rebellion." Trotz der zunehmenden Individualisierung waren die großen Marken bis weit in die neunziger Jahre noch nicht in Gefahr.

Wer heute zumindest qua Lebensalter zu den Erwachsenen zählt, ist immer noch in jener Popkultur aufgewachsen, in der es auf wichtige Stilfragen selten mehr als zwei Antworten gab: Märklin oder Carrera, Jules Verne oder Karl May, Beatles oder Stones, Nike oder Adidas, Ente oder Käfer. Doch mit dem Ende des Ostwestkonflikts löste sich auch die binäre Weltsicht der Konsumgesellschaft auf.

In der Popmusik, die als Vorreiterin des Marktverhaltens spätestens seit den sechziger Jahren gesellschaftliche Strömungen aufnimmt und in den Mainstream spült, hat sich das Ende der großen Marken längst vollzogen. Die vergangenen zehn Jahre haben mit Ausnahme von Robbie Williams keinen einzigen Superstar hervorgebracht. Stattdessen wird der Pop heute von Randfiguren bevölkert, die vorübergehend aus ihrer Nische ausbrechen - Rapper wie Eminem und 50 Cent, Countrymusiker wie Faith Hill und Kenny Chesney, Epigonen wie Coldplay und James Blunt.

Das Bedürfnis, der Masse voraus zu sein - einst eine Domäne der Subkulturen -, es ist zum Massenphänomen geworden. Dazu kommt die Auflösung der altersspezifischen Lebensmodelle.

"Wer immer jung bleiben will, muss die Gegenwart verbreitern", schrieb Claudius Seidl in seinem Buch "Schöne junge Welt", in dem er das Phänomen untersuchte, dass es zwischen Jugend und Erwachsensein kaum noch klar definierte Grenzen gibt. Im Englischen gibt es dafür schon längst Etiketten. Yupster (von Yuppie und Hipster), Yindie (Yuppie und Indie) oder Grups (eine Verkürzung des Wortes 'Grown-Ups', das sich die Drehbuchschreiber der Fernsehserie "Raumschiff Enterprise" für die Bewohner eines Kinderplaneten ausdachten).

Das New York Magazine definierte den typischen Grup gerade als 35-Jährige, die nicht ohne ihren iPod aus dem Haus gehen, die sich in Jugendmodeketten wie Urban Outfitters oder H& M einkleiden, die ihre Kinder zur Happy Hour in Hipsterbars schleifen, bis vier Uhr morgens in Clubs ausharren, 250 Dollar für künstlich gealterte Jeans ausgeben, ihren Kleinkindern Folkpopmusik vorspielen und Rockstar-T-Shirts anziehen, immer noch das Turnschuhmodell tragen, das sie schon als Schulkinder trugen, ihre Firmenkarrieren aufgeben, um freiberuflich zu arbeiten - und die zu beruflichen Terminen sündhaft teure Fahrradkuriertaschen mitbringen.

Na, Logo!

Weil die Grups aber kulturell in den angestammten Domänen der Jugend wildern müssen, so wie all die jungen Eltern die sich für neue Bands wie Franz Ferdinand oder Clap Your Hands Say Yeah interessieren, führt das zu einer immer schnelleren Verbreiterung der Gegenwart.

Weil aber auch noch neue Technologien Kultur und Marktgeschehen verändern, führt das zu einem System der immerwährenden Beschleunigung, in dem es keine gemeinsamen Nenner und deswegen auch keine Marken, Stars und verlässlichen Leitmotive geben kann. Eigentlich könnten einem die Sorgen der Marketing- und Modebranchen egal sein, doch in der Welt der Wohlstandsländer ist Konsum längst die entscheidende Triebfeder der Kultur. Deswegen muss sich nicht nur die Wirtschaft von traditionellen Parametern verabschieden, sondern auch die Gesellschaft damit abfinden, dass es bald keine kulturellen Selbstverständlichkeiten mehr geben wird.

Pop wird von Leidenschaften und Sehnsüchten gesteuert, die sich keinen historischen Kontinuitäten und gesellschaftlichen Normen unterordnen.

In einem Wirtschaftssystem, in dem Angebot und Nachfrage durch Leidenschaft und Sehnsucht ersetzt wurden, werden Produzenten künftig gezwungen sein, eine Vision zu entwickeln, die kulturelle Relevanz vor kaufmännisches Denken stellt. Das wird die Zyklen, in denen die Marketingbranche gesellschaftliche und kulturelle Strömungen aufgreift und vermarktet, weiter verkürzen, bis die Kreisläufe an einen Nullpunkt gelangt sind, in dem Konsum und Kultur zu einem dynamischen Fluidum verschmelzen.

Das ist keineswegs so komplex und philosophisch, wie sich das gerade anhört. Gleich neben seinem Basketballbüro hat Marc Ecko ein Modell seines nächsten Projektes aufgestellt. Im neoklassizistischen Bau des ehemaligen Times Square Theaters an der 42. Strasse, in dem in den zwanziger Jahren Stücke wie "Gentlemen Prefer Blondes" und "The Front Page" liefen, wird Ecko Anfang nächsten Jahres einen so genannten Flagship Store eröffnen, der auf mehreren Ebenen den Ecko Lifestyle erfahrbar machen soll.

Kleider wird es dort zu kaufen geben, keine Frage, aber genauso Sammlerspielwaren aus Japan, Videospiele, Vinylplatten für DJs, seltene Turnschuhmodelle, es soll eine iPod-Ladestelle und einen Tätowiersalon geben.

Bei 26 Millionen Touristen, die jedes Jahr den Times Square besuchen, soll sich das New Yorker Lebensgefühl aus Hip-Hop-Authentizität und Downtown-Hipster-Cool bald schon in die ganze Welt verbreiten. In 45 Ländern ist Ecko schon vertreten. In München hat er gerade eine europäische Außenzentrale eröffnet, die den osteuropäischen Markt erschließen soll. Neue Marken wie "Cut & Sew" sind geplant, mit denen die Stammkunden altern können.

In Wirtschaftsmagazinen werden Männer wie Marc Ecko gerne als Visionäre porträtiert. Er selbst betont dagegen lieber seine bescheidenen Anfänge als jüdischer Teenager in den Vororten von New Jersey, der schon als Kind die Platten von Run DMC anhörte und als Graffitisprayer vor der Polizei davonlaufen musste.

Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Natürlich sind Marktbewegungen immer noch viel zu schwerfällig, um wirkliche Visionen zuzulassen. Was Marc Ecko tut, ist, ganz einfach die Instinkte des Hipsters auf die Globalwirtschaft anzuwenden. Er hat sich das Ende der Marken ja nicht ausgedacht, sondern lediglich rechtzeitig erkannt und als erster Unternehmer mit globaler Reichweite auf sein Geschäftsmodell angewandt.

Mit 33 Jahren steht Marc Ecko eigentlich erst am Anfang seiner Laufbahn. Glaubt man seiner Theorie vom Ende der großen Marken, wird sich sein Konzern wie ein Virus immer wieder verändern und neu inkarnieren. Angst vor Herausforderungen hat er jedenfalls nicht.

Mit einem kurzen Nicken deutet er auf das Logo der Marke, mit der alles anfing - das Nashorn mit dem angriffslustig gesenkten Kopf. "Für mich hatte unser Logo ja auch immer eine metaphysische Bedeutung", sagt er. "Was das Nashorn in der freien Wildbahn auszeichnet, ist, dass es niemals rückwärts geht und sich niemals in eine Ecke drängen lässt."

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