Konfiskation von Flüchtlingseigentum:Degradiert zum rechtlosen Wesen

Asylsuchende in einem dänischen Flüchtlingslager in Thisted, Nordjylland.

Werden künftig durchsucht: Asylsuchende in einem dänischen Flüchtlingslager in Thisted, Nordjylland.

(Foto: dpa)

Was bedeutet es eigentlich, wenn ein Staat die Wertsachen von Flüchtlingen konfisziert? Über die Person, das Eigentum und die besondere Brutalität eines dänischen Gesetzes.

Von Thomas Steinfeld

Zu den Verdiensten, die sich der Philosoph, Mathematiker, Kritiker und Dramatiker Johan Ludvig Heiberg um das dänische Geistesleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwarb, gehört nicht nur, dass er das Vaudeville mit großem Erfolg aus Frankreich nach Kopenhagen importierte. Von einem Aufenthalt an der Universität Kiel, wo er von 1822 bis 1825 lehrte, brachte er vielmehr auch die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels mit in den Norden.

In einer ganzen Reihen von Schriften, darunter die "Briefe an einen Landpfarrer" (1834), versuchte Heiberg, seine Landsleute davon zu überzeugen, dass das, was wirklich sei, auch vernünftig sein müsse - und umgekehrt.

In Hegels "Grundlinien der Philosophie des Rechts", im Herbst 1820 erschienen, meinte er das Fundament einer besseren Gesellschaft gefunden zu haben. Und als sich die idealen Zustände nicht einstellen wollten, schrieb Heiberg in seiner Verbitterung einen Aufsatz mit dem Titel "Volk und Publikum" (1842). Darin geht es auch um eine Politik, die sich die Interessen des Publikums oder der "Masse" zu eigen mache und deswegen als "Guerilla" auftrete.

In diesen "Grundlinien" findet sich der Satz: "Eigentum ist ein Besitz, der mir als dieser Person angehört, worin meine Person als solche zur Existenz, zur Realität kommt."

Man muss ihn mindestens zweimal lesen, bevor der Sinn tatsächlich aufgeht: Person und Eigentum, sagt er, seien zwei Seiten eines selben Verhältnisses. Eine Person sei nur, wer über etwas verfügen könne: Das Eigentum sei die "äußerliche Wirklichkeit" des Willens.

Beschlossen ist, Flüchtlinge nicht als Personen zu behandeln

Fast zweihundert Jahre nach Erscheinen der "Philosophie des Rechts" erscheint es nun, als habe diese Lehre in Dänemark die Generationen völlig unangetastet überdauert: um nun neu gelesen zu werden, mit höchster Aufmerksamkeit und mit bösem Willen. Denn wenn eine Person in ihrem Eigentum zur Realität kommt - was muss dann geschehen, wenn ich der Person ihr Eigentum nehme? Richtig, sie nimmt einen Schaden, der viel größer sein muss als der aktuelle materielle Verlust.

Man habe sie missverstanden, behauptet die dänische Regierung, als sie am vergangenen Dienstag ein Gesetz verabschiedete, nach dem Flüchtlinge durchsucht und ihre Wertsachen konfisziert werden dürfen. Mehr als gut tausend Euro darf nun keiner mehr behalten.

Doch was ist daran nicht zu verstehen? Beschlossen ist, Flüchtlinge nicht als Personen zu behandeln. Sie sollen sich in Menschen zurückverwandeln, und Menschen sind - im Unterschied zu Personen - rechtlose Wesen.

Schon der Plan zu diesem Gesetz wurde weithin mit Unbehagen, wenn nicht mit Empörung aufgenommen. Die beschlagnahmten Wertsachen sollten dazu dienen, erklärte man in Kopenhagen, die Kosten zu decken, die Dänemark durch den Aufenthalt der Flüchtlinge entstünden.

Mutwillige Preisgabe eines Grundwertes

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Der Flüchtling hat nichts als das, was er bei sich trägt: Die Installation "Il Muro Occidentale o del Pianto" des Künstlers Fabio Mauri.

(Foto: Christian Beutler/Keystone/picture alliance)

Bald erwies sich zwar, dass andere Staaten wie auch einzelne deutsche Bundesländer nicht anders handeln, und das schon seit Jahren. Und überhaupt gibt es, wie schnell herausgefunden wurde, kaum einen Fall, in dem dieses Gesetz tatsächlich anzuwenden ist. Die allermeisten Flüchtlinge sind mehr oder weniger mittellos.

Doch lässt sich die Empörung offenbar nicht durch praktische Überlegungen oder durch den Hinweis auf eine verbreitete Praxis beruhigen. Denn am Ende geht es gar nicht um den Ausgleich materieller Verluste. In der Aufregung waltet vielmehr ein Gespür dafür, dass hier eine der Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft preisgegeben wird - und das geschieht keineswegs erzwungen, sondern mutwillig, angesichts der nur 21 000 Flüchtlinge, die Dänemark im vergangenen Jahr aufnahm.

Der Empörung, die schon der Plan der dänischen Regierung auslöste, folgten schnell und überall die historischen Vergleiche. Was denn mit persönlichen Andenken geschehen solle, mit Eheringen und Goldzähnen? So wurde gefragt, nicht nur in Sydsvenska Dagbladet, der Tageszeitung auf der anderen Seite des Öresunds, sondern auch in der fernen Washington Post.

Der Bezug gilt selbstverständlich der Judenverfolgung im Nationalsozialismus. Doch auch wenn die dänische Regierung eilig versicherte, es keineswegs auf dermaßen persönliche Dinge abgesehen zu haben, und auch wenn der Vergleich übertrieben erscheint, weil ja Leib und Leben der Flüchtlinge nicht gefährdet sind, so besitzt er doch einen rationalen Kern.

Damit andere abgeschreckt werden, darf der Flüchtling nichts als das nackte Leben behalten

Er besteht zum einen in der Demütigung, mit der Menschen zum Opfer staatlich sanktionierter Wegelagerei werden, zum anderen in der Politik, die Beschlagnahme als demonstrativen Akt zu vollziehen.

Die dänische Regierung will abschrecken, indem sie Flüchtlinge öffentlich in Menschen verwandelt, denen nicht mehr zusteht als das eigene Leben - während der Rest der gleichzeitig verabschiedeten Gesetze dafür sorgt, dass unsicher wird, ob, wann und wie ein solcher Flüchtling je in den Genuss bürgerlicher Rechte kommt.

In dieser Unsicherheit liegt der Unterschied zur staatlichen Abwicklung des persönlichen Ruins, wie sie in Deutschland unter dem Namen "Hartz IV" vollzogen wird. Denn so argumentiert die dänische Regierung: Der Flüchtling soll nicht besser gestellt sein können als die ärmsten dänischen Bürger.

Gewiss, auch diejenigen, die eine solche Grundsicherung brauchen, verlieren in gewissem Sinne die Verfügungsgewalt über sich selbst, um sich für die letzte Stufe staatlicher Fürsorge zu qualifizieren. Doch während der Flüchtling nichts anderes besitzt als das, was er bei sich trägt, hört der Hartz IV-Empfänger nicht auf, ein bürgerliches Subjekt zu sein.

Für den Flüchtling gehören Person und Eigentum ganz praktisch zusammen

Das gilt nicht nur, weil er viele Dinge behalten darf (unter gewissen Bedingungen sogar das Wohneigentum), sondern vor allem, weil alle anderen staatlichen und gesellschaftlichen Netze bestehen bleiben. Der Flüchtling aber ist auf sich allein gestellt, und die Möglichkeiten seiner Existenz bemessen sich unmittelbar an seiner Zahlungsfähigkeit. Für ihn gehören Person und Eigentum nicht nur ideell, sondern auch praktisch zusammen, und sei es, um sich überhaupt als Mensch zu erhalten.

Das Asylrecht in der jetzigen Form wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang bewährte es sich im Umgang mit Verfolgten eines anderen politischen Systems.

Hinter jedem Flüchtling stand eine fremde Staatsgewalt, die den Abtrünnigen als ihren Bürger begriff und womöglich retourniert haben wollte. Für die Millionen Menschen, die in jüngster Zeit aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika nach Europa fliehen, war dieses Asylrecht nie konzipiert - zumal, da hinter diesen Menschen in der Regel keine fremde Staatsmacht steht, die sie verfolgen oder bestrafen will, also als ihr zugehörige Menschen betrachtet.

Den politischen Flüchtling gibt es immer noch. Die meisten Flüchtlinge aber, gleichgültig, ob sie einen echten oder falschen oder gar keinen Pass besitzen, gehören nirgendwohin. Kein Staat betrachtet sie als seine Bürger.

Das bekommen sie zu spüren, wenn sie an einer Grenze stehen: Denn Personen werden dort als Repräsentanten zwischenstaatlicher Verhältnisse behandelt, worauf sie auch im anderen Land als Rechtssubjekte anerkannt werden. Bei Menschen, die nirgendwo Personen sind und womöglich auch keine mehr werden, ist das anders: Sie werden nicht zu Rechtssubjekten, sie müssen Nicht-Personen und damit rechtlos bleiben.

Hässliches Verfahren an allen Grenzen innerhalb Europas

In Dänemark sorgt man sich nun, von den Vereinten Nationen gerügt, um das internationale Ansehen des Landes. Es gibt Gründe für eine solche Sorge, und schon hat der allgegenwärtige chinesische Künstler Ai Weiwei eine Ausstellung in Kopenhagen im Protest vorzeitig beendet.

Doch ist das, was in Dänemark geschieht, nur eine besonders hässliche Seite eines Verfahrens, das an allen Grenzen innerhalb Europas praktiziert wird. Seine andere, noch brutalere Seite liegt gegenwärtig zum Beispiel in der Ägäis: Wenn europäische Politiker fordern, Griechenland müsse die Grenze zur Türkei besser "kontrollieren", fragt das griechische Militär zu Recht zurück, ob es nun die Boote der Flüchtlinge versenken solle.

"Der Flüchtling", hatte der italienische Philosoph Giorgio Agamben vor vielen Jahren in einem berühmten Aufsatz erklärt, "sollte als das betrachtet werden, was er ist: nichts als eine Idee von Grenze." Wenn er ertrinkt, tut er das als Mensch, nicht als Person.

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