Konfessionen:Im Licht der ewigen Wahrheit

Um 1900 schien der Vorsprung der Protestanten uneinholbar zu sein. Der Historiker Otto Weiß schildert, wie deutsche Katholiken Wege in die Kultur der Moderne fanden.

Von Rudolf Neumaier

Den Begriff "Aufklärung" haben die katholischen Bischöfe wieder einmal tunlichst vermieden. In ihren umfangreichen "Lineamenta", ihren offiziellen Grundlinien, die sie in diesem Winter zusammen mit einem Fragebogen im Kirchenvolk verschickten, kommen sie abwertend "auf den in der säkularisierten Gesellschaft verbreiteten kulturellen Relativismus" zu sprechen. Ob nun Aufklärung den Relativismus bedingt oder umgekehrt - letztlich war und ist der katholischen Kirche beides gleich unwillkommen. Die Hirten bitten vor ihrer Synode im Herbst zwar ihre Schafe um Stellungnahmen, aber die Fragen sind so gestellt, dass die Antworten an der gegenwärtigen Sexualmoral nichts ändern werden. Kirche und Aufklärung - die Diskrepanzen sind immer noch gewaltig.

Eine Studie des Wiener Historikers Otto Weiß, 80, beschreibt die ersten Schritte beim Austritt katholischer deutscher und österreichischer Intellektueller aus ihrer Unmündigkeit. Über das 19. Jahrhundert hinweg waren für Katholiken die Grenzen selbständigen Denkens ex cathedra eng gezogen. Literatur, die kritischen Geist genährt hätte, setzte der Vatikan auf den Index der verbotenen Bücher. Durch den Syllabus errorum sowie die Enzykliken Pascendi und Lamentabili erklärten die Päpste Pius IX. und Pius X. alles Modernistische zu Teufelszeug. Für katholische Wissenschaftler war das fatal: Sie blieben durch ihr Verharren auf dem alten Wissenschaftsbegriff auf der Stelle - und hinkten ihren evangelischen Kollegen hinterher.

Die Protestanten gingen längst unter der Prämisse ans Werk, die Max Weber als "Wertfreiheit" bezeichnete. Katholische Natur- wie Geisteswissenschaftler hingegen waren noch immer der "ewigen Wahrheit" verpflichtet und der kirchlichen Lehre. Viele Katholiken, schreibt Otto Weiß, waren "in ihrem überkommenen Glauben verunsichert und verkrochen sich nur allzu gern in die angeblich absolute Sicherheit der Übernatur mit ihren unveränderlichen ,Wahrheiten'". Unveränderlichkeit, dieses Prinzip war und ist das Kontinuum der römisch-katholischen Katholizismus.

"Ungenießbar, seicht und fad" schien die Erbauungsliteratur

Die Erzeugnisse der Künste unterschieden sich in ihrer Qualität nach Konfession. Die katholische Literatur sickerte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich auf das Niveau frommer Erbauungsgeschichten. Manchmal wurde es selbst Klerikern zu viel. Otto Weiß zitiert den späteren antimodernistischen Rottenburger Bischof Paul Wilhelm Keppler, der 1897 kritisierte, die Erbauungsliteratur kranke "an Gedankenarmut und Gefühlsüberschwang" und sei "größtenteils ungenießbar, seicht und fad geworden und weiblich fast bis zur Hysterie".

Weiß' Buch baut auf einer Beobachtung des Historikers Walter Goetz auf, die dieser um 1900 notierte und Weiß in einem privaten Nachlass in die Hände fiel: "Der Katholik hat im Gegensatz zum Protestanten einen weiten Weg, bis er die Kultur der Gegenwart verstehen, durchdringen kann." Alle "Bahnbrecher und alle großen geistigen Talente" seien Protestanten.

Langsam wuchs diese Einsicht auch im katholischen Lager - und mit ihr keimten Bestrebungen, den Makel der kulturellen Inferiorität gegenüber den Protestanten zu tilgen. Die Zeitschrift Hochland wurde aus der Taufe gehoben, andere versuchten, ihre Treue zur Kirche mit ihrer Aufgeschlossenheit für die moderne Kultur lieber in Organisationen wie dem Katholischen Akademikerverband zu verbinden. Aber weiterhin taten sich die katholischen Intellektuellen schwer mit ihrer Zeit - auch mit der Demokratie. Romano Guardini rechnete mit der Aufklärung selbst ab: "Wir werfen den Bann der in der Stube ersonnenen Autonomie Kants von uns und begreifen, wie groß und lebenssteigernd es ist, wenn eine Persönlichkeit sich der anderen in freigewolltem sinnbegriffenen Gehorsam hingibt." Hundert Jahre ist das her. Das sehen die tonangebenden Kleriker heute noch genauso.

Otto Weiß: Kulturkatholizismus. Katholiken auf dem Weg in die deutsche Kultur 1900-1933. Pustet-Verlag, Regensburg 2014. 312 Seiten, 29,95 Euro.

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