Komponist:Radikal reduziert

Zwei Liederabende für Wilhelm Killmayer

Von Michael Stallknecht

Eine Bahn Rindenmulch mit wenigen Grünpflanzen umrahmt ein schmales Karree mit einem Flügel darin. Es dient im Kulturzentrum Einstein als Spielfläche für Wilhelm Killmayers nie vollendete Oper rund um Friedrich Hölderlin, an die die Macher der Adevantgarde zum Abschluss ihres mehrtägigen Killmayer-Festivals am Montagabend mit einem szenischen Konzert erinnerten. Die Schauspieler Katja Brenner und Anton Figl lesen Briefpassagen aus Hölderlins Umfeld sowie Texte von Schiller, Klopstock oder Jung-Stilling, mit denen Killmayers Libretto das Leben des Dichters assoziativ umreißen wollte.

Dabei war die zehnjährige Auseinandersetzung für den in diesem Jahr verstorbenen Komponisten alles andere als fruchtlos, entstanden doch auf diese Weise immerhin drei große, in den Abend eingebundene Liedzyklen. In ihnen vertonte Killmayer bezeichnenderweise nicht die großen bekannten Gesänge Hölderlins, sondern die knappen Gedichte aus den letzten 35 Jahren. Hölderlin verbrachte sie im Tübinger Turm, wo er selbst Klavier oder Flöte spielte und dazu sang, weshalb ihn die einen bis heute für wahnsinnig halten, die anderen für so weise, dass er nicht mal mehr publizieren wollte. Wie auch immer: Die Geste des Rückzugs, auch die Anmutung der Unschuld in den Gedichten entsprachen Killmayers Temperament. Hier fand er, was auch sein eigenes Schaffen prägt: den Mut zur radikaler Einfachheit.

Bisweilen fast heiter, kindlich unbeschwert klingen die Lieder, die die junge Sopranistin Susanne Kapfer und der junge Tenor Eric Price - Killmayer bevorzugte die hohe Stimmlage - zur Klavierbegleitung von Amy Brinkman-Davis singen. Die Inszenierung von Blanka Radoczy, Regiestudentin der Theaterakademie, beschränkt sich ebenfalls auf wenige Mittel, bei denen doch immer wieder Humor durchblitzt, wenn in den Texte etwa ein Eichhorn den Weg des deutschen Idealismus kreuzt.

Dass die deutsche Romantik für Killmayer gleichzeitig Epoche der Anziehung wie Abstoßung war, lehren auch seine anderen großen Klavierliederzyklen. Am Montagabend ließ sich das in München besonders intensiv erfahren, weil bereits zwei Stunden vor dem Konzert der Adevantgarde die Bayerische Akademie der Schönen Künste ebenfalls Killmayers Liedschaffen ins Zentrum eines ihrer Programme gestellt hatte. Der Tenor Markus Schäfer und der Pianist Siegfried Mauser musizierten dort die Zyklen nach Gedichten Georg Trakls und Joseph von Eichendorffs, was die Einheitlichkeit wie die gleichzeitig bestehende Spannweite von Killmayers Liedschaffen verdeutlichte. So meint man in den zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Eichendorff-Liedern, die hier erstmals als Zyklus zu hören waren, Romantisches zu ahnen. Vogelrufe oder Horngeschmetter scheinen anzitiert, die Bögen sind deutlich weiter, der Ambitus für den Tenor größer als in den späten Trakl-Liedern aus den 90er Jahren, in denen Killmayer die Reduktion auf eine radikale Spitze treibt.

Killmayer sei ein Komponist gewesen, sagt denn auch Siegfried Mauser in einem begleitenden Vortrag, der die eigene Klangsprache immer auch an dem jeweiligen dichterischen Tonfall modelliert habe. Die Lieder seien "sehr einfach und sehr elaboriert zugleich". Dass Markus Schäfer und er die Zyklen bereits vor zwei Monaten gemeinsam auf CD vorgelegt haben (Wergo), merkt man dem Konzert an. Sie artikulieren jede Silbe und jeden einzelnen der oft wenigen Töne mit einer Achtsamkeit, die vielleicht auch das Besondere an Killmayers Liedkunst darstellt. Scheint doch der Komponist hier oft weniger daran interessiert, sich selbst hörbar zu machen, als vielmehr darauf abzuzielen, einen neuen Aufmerksamkeitsraum für die altbekannten Texte schaffen.

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