Komödie:Ein Dorf spielt Kino

Komödie: Bevor ein Amateurschauspieler eine Rolle spielt, spielt er einen Schauspieler: die "Hirschen"-Jungs auf der Lauer.

Bevor ein Amateurschauspieler eine Rolle spielt, spielt er einen Schauspieler: die "Hirschen"-Jungs auf der Lauer.

(Foto: Hirschen Filmverleih)

Der Amateur-Heimatfilm "Hirschen" handelt trotz mangelnder Selbstironie von einem rührenden Traum.

Von Philipp Stadelmaier

Manchmal ist die Entstehung eines Films viel interessanter als der Film selbst. Zum Beispiel bei "Hirschen". Hirschen, das ist ein kleines Dorf in den österreichischen Alpen, in dem sich die Bewohner nach der Schließung der Holzfabrik gegen den wirtschaftlichen Bankrott zur Wehr setzen müssen. Eines Tages verursacht ein über die Straße laufender Hirsch einen Autounfall, der betroffene Geologe muss bis zur Genesung und Reparatur seines Wagens beherbergt werden. Womit die Hirschener auf die Idee kommen, einfach weitere Unfälle zu verursachen, um durch den Invalidentourismus das Geschäftsleben ihrer kleinen Kommune wieder ankurbeln zu können.

Während man sich diesen Heimatfilmklamauk anschaut, glaubt man seinen Augen kaum. Man kann nicht glauben, wirklich allen Ernstes "das" vor sich zu haben. Abgesehen von ein paar ausgebildeten Schauspielern sind die meisten Rollen mit Hobby- und Freizeitschauspielern örtlicher Theatergruppen besetzt: mit Maurern und Paketboten, die "immer schon mal schauspielern wollten", mit gescheiterten Bühnenkarrieren, die auf dem Traktor geendet sind. Weswegen fast jede Darstellung äußerst speziell wirkt: Bevor ein Amateurschauspieler eine Rolle spielt, spielt er meist erst einmal einen Schauspieler nach. Das Ergebnis wäre also ein sehr ausgedehnter, zwei Stunden langer Amateurfilm, der hier die letzte Ruhestätte des Heimatfilmgenres wird: eine sehr lokale (und für alle anderen sehr lange) Angelegenheit, die bei der Vorführung im Gemeindezentrum triumphiert und überall sonst verloren hat. Aber hat "Hirschen" einen Sinn außerhalb von Hirschen, beziehungsweise dem Dörfchen Außervillgraten, wo der Film entstand?

Der Regisseur George Inci, welcher auch die Rolle des in Hirschen strandenden Geologen spielt, hat ebenfalls etwas von einem Amateur, also einem "Liebhaber". Der ausgebildete Schauspieler hat schon länger den Wunsch, Filme zu machen, ist aber permanent von Förderorganen und Produzenten abgelehnt worden. Was bleibt übrig, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ohne einen einzigen Cent Fördergeld, mit großer Solidarität und Unterstützung der Außervillgratener und seiner (mitspielenden und produzierenden) Gefährtin Beatrice von Moreau hat er das Projekt gestemmt, hat er Produktion und sogar auch den Verleih übernommen.

Das merkt man. Alles dauert in "Hirschen" etwas arg lange, angefangen beim endlosen Vorspann. Und wenn bei einer Beerdigung der Sarg gefühlte Minuten nicht ins Grab hinab will, dann stirbt mit dem Timing (nicht Incis Stärke) zwar der Gag - während der Film sich gleichsam gegen seine Beerdigung wehrt, und zeigt, dass er sehr wohl und trotz allem existiert.

Allein deswegen kann man ihn nicht genug wertschätzen, egal, wie sehr er einem auf die Nerven geht. "Hirschen" bewegt sich außerhalb jeder Kritisierbarkeit. Wie sollte man einen Film kritisieren, der vor allem vom rührenden Traum handelt, ein echter Film sein zu wollen? Und der mit der Geschichte eines gegen den Ruin kämpfenden Dorfes dafür alle nur möglichen Kräfte mobilisiert?

Allerdings hätte der Film viel besser sein können, wenn Inci direkter seine Produktionsbedingungen thematisiert hätte. So wie der Portugiese Miguel Gomes in "Jener geliebte Monat August", der zwischen sommerlicher Feria, Liebesgeschichte und Making Of des Films ein Geflecht zwischen Dokumentation und Fiktion webte. So wie Vittorio De Sica in "Jagt den Fuchs!", wo der Meisterdieb Peter Sellers als Tarnung für einen Goldschmuggel einem begeisterten italienischen Dorf vorgaukelt, er würde bei ihnen einen Film drehen, und ihnen in seiner Hochstapelei einen Traum schenkt.

Es ist das, was Incis Film leider fehlt: über sein eigenes Unterfangen herzhaft zu lachen.

Hirschen - Da machst' was mit, D/Österreich 2014 - Regie, Buch, Kamera: George Inci. Mit George Inci, Beatrice von Moreau, Sepp Lusser, Oswald Fuchs, Thomas Widemair, Ruth Ebner, Bernhard Wolf. Hirschen Filmverleih, 126 Min.

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