"Irrational Man" im Kino:Trauriger Trinker

"Irrational Man"; Woody Allen; Joaquin Phoenix; Emma Stone

Gegen die physischen Probleme der Liebe helfen dem Professor und seiner Studentin (Joaquin Phoenix, Emma Stone) weder Kierkegaard noch Kant.

(Foto: Sabrina Lantos)

Ein Film über einen versoffenen College-Professor, der einen Mord als Mittel gegen Impotenz nutzt. Wer könnte hinter diesem Plot stecken? Natürlich nur Woody Allen.

Von Martina Knoben

Auf manche Dinge ist einfach Verlass. Auf den jährlichen Film von Woody Allen zum Beispiel, der ebenso zuverlässig von Männern in Lebenskrisen und sehr schönen, sehr jungen Frauen erzählt. "Irrational Man", der neueste Film des mittlerweile fast 80-jährigen Regisseurs, fügt sich geschmeidig und sehr unterhaltsam in dessen bisheriges Filmuniversum ein.

Es geht um den perfekten Mord, verübt, um einen schlechten Menschen aus dem Weg zu schaffen. Wie schon in "Match Point" oder "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" lotet Allen Fragen von Schuld und Sühne, Zufall und Schicksal aus.

Schmeichelnde Kameraführung, Sommerfarben und ein trinkender Professor

Der zweifelhafte und zweifelnde Held heißt hier Abe Lucas (Joaquin Phoenix), er ist Philosophieprofessor und hat einen Bierbauch. Dieser Bauch sagt eigentlich schon alles: Der Mann ist nicht in Form, signalisiert die Plautze, und er kennt kein Maß. Schreibblockaden, Impotenz und ein Alkoholproblem plagen ihn. Lucas bilanziert selbst sein Elend aus dem Off, während er im offenen Cabrio, den Flachmann fest in der Hand, zu "Wade in the Water" des Lewis Ramsey Trios seinem neuen College, einem Kleinstadt-Campus in Newport, Rhode Island entgegenfährt.

Der Zuschauer - wenn er Allens Filme denn grundsätzlich mag - fühlt sich gleich wie zu Hause. Kamera und Montage umschmeicheln und verführen ihn, mit weichen Bewegungen und Sommerfarben. Lucas mag als Intellektueller, als Mensch und Mann ziemlich heruntergekommen sein, aber diese Bilder und der Schnitt sind seine Komplizen. Sie verkuppeln ihn auch: Schon die Parallelmontage der Eröffnungssequenz bringt ihn mit der fabelhaft gut aussehenden Studentin Jill (Emma Stone) zusammen. Dass die beiden sich lieben werden, ist die Mechanik dieses Kinos.

Emma Stone im Sommerkleidchen ist eine pure Kinofantasie

"Menschen erfinden Dramen, weil ihr Leben so leer ist", wird Lucas später dozieren. Damit spricht er seinem Schöpfer Woody Allen aus der Seele, der seit Jahrzehnten immer wieder dieselben Motive variiert und neu kompiliert - ganz wie im Jazz. Seine Themen werden dabei weniger vertieft, als immer wieder neu umkreist. Als einen "Triumph des Stils" bewertet Jills Mutter Lucas' Arbeiten. Das ist als Tadel gemeint - ihm fehle die inhaltliche Substanz, sagt sie auch. Damit meint Allen vielleicht auch sich selbst, wertet die Bedeutung des Stils aber sicherlich ganz anders.

Die Kamera von Darius Khondij kostet die pastellfarbene Schönheit der Landschaft ebenso aus wie den Anblick von Emma Stone, die Allen bevorzugt in luftige Sommerkleidchen steckt. Diese Frau ist ein Fabelwesen, eine pure Kinofantasie: Sie ist jung, schön, geistreich und gebildet, spielt hervorragend Bach und hat einen so gesunden Menschenverstand, dass man sie eigentlich nur lieben kann.

Mord als Mittel gegen Impotenz

Abe Lucas dagegen hat, wie gesagt, einen Bauch. Immer wieder sehen wir ihn beim Essen, manchmal frisst er regelrecht und wirkt dabei wie ein Prolet. Joaquin Phoenix spielt ihn schillernd, gleichermaßen abstoßend und charismatisch. Den herrlichen Schmerbauch hat er sich angeblich mühsam angefressen. Er macht aus dem Duell, das Jill und er sich am Ende liefern, auch ein Duell der Klassen - höhere Tochter gegen Underdog- und sichert ihm ein paar wenige Sympathien.

Weil er einen Ruf hat, als radikaler Denker und Ladies' Man, wird Abe von den Studentinnen und Professorinnen des Colleges mit Spannung erwartet. Er darf als Philosophieprofessor Kierkegaard und Kant zitieren und einige geistreiche Aphorismen und Überzeugungen des Regisseurs von sich geben - das ist immer wieder amüsant.

"Irrational Man" verflechtet Allen-Thematik mit Hitchcock-Motiven

Ansonsten ist Abe ein deprimierender Typ in Flanellhemden, dessen einstiger Idealismus krachend gescheitert ist. Die wunderbare Parker Posey spielt seine Professoren-Kollegin, die auf den traurigen Trinker scharf ist, sich Erlösung aus ihrer Ehe verspricht und seine Geliebte wird. Aber Abe performt nicht im Bett - bis er einen Mord begeht, der ihn auf schauerliche Weise vitalisiert.

Abe und die schöne Jill verfolgen ein Gespräch, in dem eine Frau tränenreich über einen korrupten Richter klagt, der ihr das Sorgerecht für ihre Kinder absprechen werde. Und aus dem depressiven Philosophielehrer wird ein Mann der Tat. Mit Wahrscheinlichkeitsüberlegungen darf man diesem Drehbuch nicht kommen. Der perfekte Mord, an einem Fremden, um die Welt besser zu machen, die sexuelle Wiederbelebung des Mörders - das ist eine Verknüpfung von Hitchcock- und Woody-Allen-Motiven. Psychologisch lässt sich das nicht unterfüttern, die Schauspieler versuchen es auch gar nicht erst.

Den Mord verharmlost Allen keineswegs. Aber es ist von ätzender Komik, wenn der Professor im Therapeutenjargon Jill begeistert von seiner Verwandlung erzählt: dass er jetzt seinem Bauchgefühl folge, nicht nur zugucken, sondern die Dinge in die Hand nehmen wolle. Der Bauch - das muss auch Jill erfahren, die ihrem Liebhaber irgendwann auf die Schliche kommt -, ist manchmal ein gefährlicher Ratgeber.

Irrational Man, USA 2015 - Regie, Buch: Woody Allen. Kamera: Darius Khondji. Schnitt: Alisa Lepselter Ace. Mit: Joaquin Phoenix, Emma Stone, Parker Posey, Jamie Blackley. Warner, 94 Minuten.

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