Kommentar zu angekündigten Neuwahlen:Ein Mann will es wissen

Auch wenn es dem Wähler so vorkommen mag, als ob er nun die Wahl zwischen Pest und Cholera habe - die Ankündigung vorgezogener Neuwahlen im Herbst ist ein grandioser Coup und Schröders letzter und einziger Trumpf im Kampf um der Erhalt rot-grüner Politik. Von Bernd Graff

bgr

Er hat allen die Show gestohlen: Dem blassen Rüttgers, der gerade einen historischen Machtwechsel in NRW besorgt hat. Der allfällig triumphierenden Angela Merkel, die nun die Ihren zu einer schnellstmöglichen Kandidatinnenkür bewegen muss. Dem sogenannten Westerwelle, der nun raus aus der Spaß- und Pöbelecke muss und etwa ein halbes Jahr Zeit hat, seine Zahnarzt-Apothekerlobby-Truppe zur Staatsräson zu bringen. Und natürlich den Gewerkschaften, die gleichzeitig für ein antiquiertes Hüh und Hott eintreten, das im Zeitalter der Globalisierung in die Archive der Geschichte, aber nicht mehr Streik-Fahnen schwenkend auf die Straße gehört.

Kommentar zu angekündigten Neuwahlen: Er wird zur Cohiba greifen, wenn er sie dann im Herbst empfängt. (Foto vom Wahlabend 1998)

Er wird zur Cohiba greifen, wenn er sie dann im Herbst empfängt. (Foto vom Wahlabend 1998)

(Foto: Foto: AP)

Schröder, der einstmalige Cohiba-Zigarren-Schröder, agiert wie ein Desperado. Ein Mann allein gegen seine Herausforderer, nachdem seine Truppe so kläglich und kontinuierlich gepatzt hat. Der Superminister, der Sparkommissar, der Visa-Jogger - alle diese (rum)rührenden Gestalten haben verbockt, was man nur verbocken kann - sogar ein Gespenst aus Schleswig-Holstein konnte da für ausreichend Negativ-Stimmung sorgen.

Nun also er. Der Reformkanzler, der laut für seine, inzwischen irgendeine Agenda 2010 eintritt, die eigentlich nur unbeholfener Ausdruck und jetzt allenfalls noch Ruine eines halbherzig umgesetzten Projektes ist. Der Europa-, Frankreich-, China-, Putin-Kanzler, der immer da ist, wo es der Wirtschaft vermeintlich am meisten nützt. Damit Arbeitsplätze geschaffen werden, die das Land so dringend braucht. Doch sie kommen nicht vom Killekille mit den Wirtschaftsbossen allein.

Aber was soll der Mann auch machen? Münteferings prachtvoll vom Zaun gebrochene Kapitalismus-Debatte reaktivierte ein uraltes Bauchgefühl der Sozialdemokraten, die Politik der Partei bestimmten deren Inhalte nicht, haben sie nie bestimmt seit dem Amtseintritt vor 7 Jahren.

Kanzler-Politik ist es eigentlich seitdem, die sozialdemokratischen Werte wie eine Dialeinwand aufzuspannen, über die dann ganz andere, fast neoliberale Bilder projiziert werden. So hatte man wenig von beidem. Eher ein diffuses Grau in Grau, das übereinander geblendete, unscharfe Konturen der beiden Bilder zeigte, aber kein klares Bild ergab.

Für was steht er denn, der Kanzler? Eben - das weiß vermutlich nicht einmal er selber. Getrieben ist er von realen Bedingungen, die im Zeitalter real existierenden Kapitalismusses seinen Machtbereich übersteigen.

Und getrieben ist er vom Gekläff der Oppositions-Hunde, die ihn als Hasen jagen. Das ist zwar immer so und guter politischer Brauch. Aber ein gehetzter Hase, der nicht weiß, wohin er eigentlich will, wird irgendwann auch einmal vom letzten Hund gebissen. Nun also: Der Kanzler macht ein Fass auf, das ganz große.

Jetzt haben wir eine klassische Duell-Situation. Fast trotzig herausgefordert. Nun sind die Anderen im Zugzwang, müssen sich eigenständig positionieren. Die ewige Meckerei um der Meckerei willen wird ein Ende haben.

Und der Kanzler kann nun doch in ein Lächelkontinuum verfallen: Denn, so sein Kalkül, wenn die Anderen ihr Irgendwas umsetzen müssen, wird ihnen genau der kalte Wind entgegenschlagen, der ihn jetzt fast umgeblasen hat.

Sie werden sicherlich allesamt gute Amtsdiener werden, auch wenn man manche der mutmaßlichen Minister-Kandidaten auf gar keinen Fall von nun an täglich aus der Tagesschau herausschauen sehen möchten. Doch: Welche Politik, welcher Politikwechsel wird ihnen tatsächlich gelingen? Wofür stehen sie denn nun ein? Und wie klein und kläglich werden sie wohl im Schatten eines soliden Staatsmanns wie Schröder wohl aussehen?

Die Situation, die Schröder nun herbeigeführt hat, ist das klassische Duell. Im Hintergrund keuchen die Seinen - der Gegner sind noch viele, aber eigentlich sind es Zwerge, unter sich zerstritten, von einem Schneewittchen geführt, das in der Vergangenheit von allerlei Politik-Tellerchen gegessen hat, ohne sich den christdemokratischen Magen zu verderben. Auch hier wird eine Diät folgen.

Und der Kanzler kann bei solchen Selbst-Formatierungsversuchen ausgeruht zusehen. Er kann schmunzeln - und er wird zur Cohiba greifen, wenn er sie dann empfängt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: