Kommentar:War es Liebe oder Diebstahl?

Es war einer der kuriosesten Plagiatsfälle der jüngeren Literaturgeschichte. Nun fand er vor einem Schweizer Gericht ein äußerst seltsames Ende, nämlich zum klaren Nachteil des Geschädigten.

Von Jens Bisky

Sein Buch "Bis ins Eismeer" und sein Buch "Taten", ja seine "gesamte bisher publizierte journalistische, essayistische und belletristische Arbeit" hat der österreichische Journalist Thomas Brunnsteiner am vergangenen Wochenende für gemeinfrei erklärt. Seine Urheberrechte sehe er "als erloschen" an. Mit diesem sonderbaren, zum Spott wie zum Schulterzucken reizenden Schritt endet eine Auseinandersetzung, in der alle Parteien verloren haben. Es endet, wie Roman Bucheli in der NZZ schrieb, "eine der kuriosesten Plagiatsaffären der jüngeren Literaturgeschichte".

Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2014 veröffentlichte der Secession Verlag den dritten Roman des Schweizer Schriftstellers Urs Mannhart: "Bergsteigen im Flachland", in dem von Reisen des fiktiven Reporters Thomas Steinhövel durch ein zerklüftetes Europa erzählt wird.

Thomas Brunnsteiner, für seine literarischen Reportagen viel gelobt, erkannte in Urs Mannharts Buch nicht nur Schauplätze und Figuren aus seinen Texten wieder, er entdeckte darin auch fast wörtlich übernommene Formulierungen (SZ vom 6. August 2014). Ein Plagiat? Urs Mannhart hat nie bestritten, den Reportageband "Bis ins Eismeer" als Inspirationsquelle genutzt zu haben. Er hatte den Kollegen in der Danksagung erwähnt. Thomas Brunnsteiner aber sah seine Urheberrechte verletzt; das Angebot des Verlages, übernommene Passagen auszuweisen und in einem Vorwort Mannharts Arbeitsweise zu beschreiben, konnten ihn ebenso wenig beruhigen wie Mannharts wiederholte Versicherungen, er verehre den Reporter. Also klagte Thomas Brunnsteiner vor dem Zürcher Handelsgericht, der Roman durfte seit Eröffnung des Verfahren nicht mehr ausgeliefert werden. Schweizer Autorinnen und Autoren solidarisierten sich mit Mannhart.

Das Gericht sah die fraglichen Zitate aus dem Buch des Klägers als nicht schutzwürdig an

Am 22. Juli 2015 schlossen der Secession Verlag und beide Autoren in Zürich einen Vergleich, in dem Brunnsteiner, dem die Aussichtslosigkeit seiner Klage dargelegt worden war, anerkennt, dass Mannharts Roman "in erlaubter Weise Bezug nimmt auf seinen Reportageband ,Bis ins Eismeer' und seine Urheberrechte nicht verletzt". Das Buch wird nun wieder verkauft. Überdies muss Brunnsteiner dem Verlag 20 000 Schweizer Franken zahlen.

Gemeinfrei erklärt nun Brunnsteiner seine Werke, weil seine, von Mannhart übernommenen Formulierungen, laut Analyse des Handelsgerichts "als banale, nicht schutzwürdige Tatsachenbeschreibungen, als Allgemeinplätze, beliebige Wortansammlungen" anzusehen seien. Das klingt bitter. Mannhart freut sich für seinen Roman und über eine "juristische Vernunft", die zu unterscheiden wisse, "zwischen Diebstahl und einer sorgfältigen Verwendung von Quellenmaterial in einem literarischen Werk". Der Leser aber befürchtet, dass traurige Affären wie diese die Abstumpfung gegenüber geistigem Eigentum und Urheberrecht weiter befördern werden.

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