Kommentar:Versuch über die Versuchung

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Papst Franziskus mag nicht "Und führe uns nicht..." beten. Aber es steht nun mal so in der Bibel.

Von ALEX RÜHLE

Kommt auch nicht oft vor, dass ein Papst das Wort Gottes kritisiert. Wobei Franziskus bestimmt bestreiten würde, dass er das getan hat. Aber im Grunde läuft sein Vorschlag doch auf eine erstaunliche Fundamentalkritik an einer ganz zentralen Stelle des Neuen Testaments hinaus. In einem italienischen Fernsehinterview mahnte Papst Franziskus vor wenigen Tagen an, den Satz aus dem Vaterunser, der beispielsweise im Deutschen "Und führe uns nicht in Versuchung" heißt, neu zu übersetzen. Seine Begründung: Gott wolle den Menschen nie selbst in Versuchung führen. "Ein Vater tut so etwas nicht", erklärte er. "Ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Es ist Satan, der dich in Versuchung führt." Weshalb es die Übersetzung "Lass mich nicht in Versuchung geraten" seiner Meinung nach besser träfe. Franziskus bezog sich auf eine Initiative der französischen Bischöfe, die bereits beschlossen haben, die Übersetzung zum ersten Adventssonntag zu ändern.

Das "Und führe uns nicht ...", missfällt dem Papst - aber es steht nun mal in der Bibel

Nun ist das Vaterunser für den durchschnittlichen Kirchenbesucher eher so etwas wie die AGB jeden Gottesdienstes, etwas, das man mitmurmelt, im Vertrauen darauf, dass es damit schon seine Richtigkeit haben werde, um am Ende so laut wie einwilligend Amen zu sagen. Insofern sei gewarnt, hier wird es jetzt etwas philologisch und kleinteilig.

Wir kennen den Text des Vaterunsers immer schon nur vermittelt, Jesus sprach Aramäisch, die vier Evangelien aber wurden auf Griechisch verfasst. Das Vaterunser kommt bei Matthäus und Lukas vor. In beiden Evangelien sagt Jesus tatsächlich "Führe uns nicht in Versuchung": Das von Matthäus und Lukas verwendete griechische Wort setzt sich im Infinitiv zusammen aus der Präposition "eis" (hinein) und dem Verb "pherein" (tragen, führen). Auch der Kirchenvater Hieronymus scheint sich bei seiner Arbeit an der Vulgata, einer Revision der damals kursierenden lateinischen Übersetzungen, nicht an dem Satz gestört zu haben, sondern übersetzt wörtlich "Et ne nos inducas in tentationem" - und führe uns nicht in Versuchung. Diese deutsche Übersetzung wiederum ist ökumenisches Allgemeingut, sie wird in der katholischen, evangelischen und orthodoxen Kirche wörtlich genauso gebetet.

Die Franzosen haben schon recht, dass sie ihre bisherige Version kritisch durchleuchtet haben: Es hieß im "Notre Père" die letzten Jahrhunderte: "Unterwirf uns nicht der Versuchung". Was ja doch sehr martialisch klingt. Ihre neue Fassung - "Lass mich nicht eintreten in die Versuchung" - ist aber eher liebliche Paraphrase als wörtliche Übersetzung. Es gab denn auch von deutschen Bischöfen erste Kritik an dem französischen Vorstoß, die hier längst nicht in aller theologischen Tiefe erklärt werden, aber in etwa so zusammengefasst werden kann: Die Bitte, den Gläubigen nicht in Versuchung zu führen, richtet sich nicht an einen zynischen Spielergott, der die Menschen eben ab und zu dem Teufel ausliefert.

Der Satz ist vonseiten des Betenden Schwäche- und Vertrauensbekenntnis in einem: Wenn du mich in Versuchung führen würdest, würde ich nicht bestehen; ich weiß, dass du es aus genau dem Grund nicht tun wirst. Gleichzeitig erinnert der Satz daran, dass Gott in der Bibel immer wieder als Prüfender auftritt, als ein Gott, der den Menschen zwar nicht selbst in Versuchung führt, der aber die Anfechtung oder Prüfung durch andere sehr wohl zulässt - siehe Hiob. Und Jesus selbst schrie verzweifelt am Kreuz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Soll man daraus jetzt auch machen: "Es wäre schon nett, wenn du mich jetzt nicht verließest"?

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