Kommentar:Geschützt vor der Gegenwart

Kommentar: Harald Eggebrecht ist Musik-, Literatur- und Kunstkritiker im Feuilleton.

Harald Eggebrecht ist Musik-, Literatur- und Kunstkritiker im Feuilleton.

Kloster Andechs und die Stiftung haben sich entzweit - die Carl-Orff-Festspiele wird es nicht mehr geben.

Von Harald Eggebrecht

Das kann schon mal vorkommen, dass sich zwei nicht einigen können, wenn es um den praktischen Umgang mit Opern oder Theaterstücken geht: Der eine findet, dass der andere allzu frei die Vorlage benutze bei seinen Inszenierungen. Der andere hingegen beruft sich auf die Notwendigkeit, Inhalte so darzustellen, dass sie auch in heutiger Zeit verstanden werden können. Meist finden solche Auseinandersetzungen zwischen den vermeintlichen Lordsiegelbewahrern eines überkommenen Werks und jenen statt, die ein Stück oder eine Oper von jetzt aus gesehen auf die Bühne bringen wollen, was dann rasch als Beschädigung et cetera attackiert wird. So begab es sich unlängst, dass die gefeierte Inszenierung Frank Castorfs von Bertolt Brechts frühem Stück "Baal" am Münchner Residenztheater von den Brecht-Erben nicht akzeptiert und die Absetzung durchgesetzt wurde, weil es sich um eine "nichtautorisierte Bearbeitung" handle.

Ähnliches ist jetzt mit den Festspielen zu Ehren des Komponisten Carl Orff geschehen, die seit achtzehn Jahren in Andechs abgehalten wurden und nach der diesjährigen Saison ersatzlos eingestellt werden. Dabei waren in den letzten Jahren circa 10 000 Zuschauer auf den Heiligen Berg gepilgert, um etwa Orffs "Carmina Burana" oder "Die Bernauerin" zu erleben, an jenem Ort, an dem er begraben liegt. Im nahen Dießen am Ammersee hat Orff gelebt und gearbeitet. Kloster Andechs, seit 2011 Träger der Festspiele, hat nun aufgegeben aus "schwerwiegenden und nicht mehr zu überbrückenden Differenzen zwischen dem Kloster und der Carl-Orff-Stiftung". Natürlich hat die Stiftung, die die Festspiele 2015 mit 174 000 Euro fördert, den Schwarzen Peter, schuld am Scheitern zu sein, zurückgewiesen, allerdings Differenzen nicht geleugnet. Der Stiftungsvorsitzende Wilfried Hiller, Orff-Schüler und erfolgreicher Komponist, hat das Ende dann mit bayerischer Lakonie kommentiert: "Aus iss und gar iss, und schad iss, dass wahr iss."

Auch hier hat sich der Zwist letztlich an der Frage der Autorisierung beim Umgang mit Orffs Werken entzündet. Marcus Everding, künstlerischer Leiter der Festspiele seit 2009, hatte etwa 2014 Büchners "Leonce und Lena" inszeniert und dafür eine Musik im Orffschen Sinne bestellt. Hiller bemerkte bissig, Orff-Festspiele ohne Orff könne die Stiftung eigentlich nicht fördern. Auch sonst missfiel der Stiftung Everdings freier Inszenierungsumgang, wenn er etwa eine Männerrolle mit einer Frau besetzt oder zwei Figuren von einem Darsteller spielen lässt. Das seien Eingriffe, die hätten genehmigt werden müssen, so die Stiftung.

Wie dem im Einzelnen auch sei, so bleibt es verwunderlich, dass jenseits möglicher persönlicher Antipathien wieder einmal die vermeintliche Integrität der Werke im Sinne ihres Schöpfers eingefordert wird. Doch waren gerade Urheber häufig ziemlich radikal, wenn es um die lebendige Aufführung ging: Goethe hat als Schauspieldirektor kräftig in seiner "Iphigenie" gestrichen für die Bühne, Mozart arbeitete auf Sängerwunsch hin einiges für die Wiener Aufführung des "Don Giovanni" um und ließ anderes aus der vorgängigen Prager Fassung dafür weg, Brecht produzierte gleich mehrere Versionen von "Baal", ohne je zufrieden zu sein. Und Günter Grass hat noch kurz vor seinem Tod neugierig miterlebt, wie seine "Blechtrommel" in Hamburg aufs Theater gebracht wurde, ohne sich restriktiv einzumischen.

Offensichtlich gibt es eine Urangst bei Erben und Urheberrechtsinhabern, die Intentionen der Autoren zu verraten, wenn man unterschiedslos alles zulasse. Doch jede Aufführungskunst lebt von der ständigen Vergegenwärtigung, Neudeutung, Aktualisierung ins jeweilige Jetzt, natürlich mit dem Risiko des Scheiterns, Misslingens, Verfehlens. Diese Gefahr gehört genauso zu Oper und Theater dazu wie grandioses Gelingen.

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