Besetzung der Volksbühne:Wird die Volksbühne zu einer neuen Roten Flora?

Volksbühne besetzt

Den Besetzern der Volksbühne geht es um mehr als eine anarchistische Party-Zwischennutzung in Berliner Tradition.

(Foto: dpa)

Der Konflikt um Intendant Dercon ist für die Berliner Theaterbesetzer nebensächlich. Sie protestieren gegen die Gentrifizierung Berlins. Doch dieser Legitimationsversuch greift zu kurz.

Kommentar von Peter Laudenbach

Die Besetzung der Berliner Volksbühne kam nicht überraschend. Seit Monaten war bekannt, dass theaterferne Aktivisten planen, das Haus in Besitz zu nehmen. Am Vorabend der Besetzung wurde auf Berliner Premieren offen darüber gesprochen, dass die Besetzung für den kommenden Tag um 16 Uhr zu erwarten sei. Selbstverständlich wusste das auch die Theaterleitung um Chris Dercon. Es soll im Vorfeld sogar Gespräche zwischen den Aktivisten und Mitarbeitern Dercons gegeben haben. Weshalb mehr als hundert Besetzer - pünktlich zum angekündigten Zeitpunkt - ungestört in das Theater eindringen konnten, ist rätselhaft. Die Theaterleitung hätte die Besetzung mit relativ wenig Aufwand verhindern können. So schwierig ist es ja nicht, für geschlossene Türen zu sorgen. Chris Dercon ist als Hausherr für alles, was jetzt in dem ihm anvertrauten Theater geschieht, mitverantwortlich.

Das reicht von möglicher Sachbeschädigung bis zu den Sicherheitsrisiken, wenn sich Hunderte oder gar Tausende Personen in dem Haus aufhalten, rauchen, trinken, kochen, übernachten. Möglich wurde die Besetzung auch, weil in der Volksbühne derzeit kein Theater gespielt wird. Erst für den 11. November sind dort die ersten Vorstellungen der unglücklich gestarteten Dercon-Intendanz geplant. Offenbar weckte das hochsubventionierte, über Monate nicht bespielte Theater Begehrlichkeiten: Wenn hier nichts los ist, können wir ja Partys machen. Gelingt es Dercon nicht, die von ihm durch Nichtstun mitverantwortete Situation zu klären, wird seine Lage noch etwas unkomfortabler, als sie es auch durch eigenes Verschulden ohnehin ist.

Die Besetzer der Volksbühne betonen ihre Gewaltlosigkeit

Eine anarchistische Party-Zwischennutzung in Berliner Tradition wäre rüde, aber harmlos und vielleicht sogar unterhaltsam. Aber es geht offenbar um weit mehr, und das ist alles andere als lustig. Die Besetzer verkünden, es handle sich um ein "langfristiges Projekt". Ihre detaillierte "Hausordnung" klingt, als wollten sie ihren eigenen kleinen Anti-Staat mit hoher Regeldichte errichten: Das Theater soll offenbar zu einem autonomen Zentrum im Stil der Roten Flora umfunktioniert werden. Der seit zwei Jahren schwärende Konflikt um die Intendanz Dercons ist dabei völlig nebensächlich. Er liefert nur den Vorwand und die Gelegenheit, sich die Kontrolle über eine attraktive Immobilie anzueignen.

Immerhin betonen die Besetzer ihre Gewaltlosigkeit. Man muss hoffen, dass sie es damit auch bei einer Räumung ernst meinen. Großzügig bieten die Besetzer den Künstlern der alten Castorf-Volksbühne an, sich in ihre "kollektive Intendanz" einzufügen. Der Tonfall ihrer Erklärungen lässt an Anmaßung nichts zu wünschen übrig. Zur Begründung ihrer Okkupation des Theaters verwenden sie geläufige Textbausteine der Kapitalismuskritik und verweisen auf die Gentrifizierung Berlins. Dieser Legitimationsversuch der Theaterbesetzung ist konfus. Falls man, um sich gegen die Gentrifizierung zu wehren, Häuser besetzen möchte, wären leer stehende Spekulations-Immobilien geeignetere Objekte.

Dass die Besetzer ein Theater vorziehen, hat einen simplen Grund: Hier wird eine Räumung sowohl ganz praktisch als auch politisch komplizierter und langwieriger. Dieses Kalkül bringt auch den besonnenen Kultursenator der Linkspartei, Klaus Lederer, bekanntlich kein Freund Chris Dercons, in eine schwierige Situation. Er macht unmissverständlich klar, dass er die Besetzung des Theaters für inakzeptabel hält. Im Gegensatz zur umstrittenen Berufung Dercons ist sie in keiner Weise demokratisch legitimiert. Noch hofft Lederer, die Besetzer mit Verhandlungen dazu zu bringen, das Theater zu verlassen.

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