Kommentar:Böser Geist aus der Flasche

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Ein Mordvideo zeigt, wie schwierig die Kontrolle sozialer Medien ist. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kann so oft versprechen, das Problem in den Griff zu bekommen, wie er will, das Geschäftsmodell wird es immer verhindern.

Von Jörg Häntzschel

In Dave Eggers' düsterem Roman "The Circle" geht es um ein monopolistisches soziales Netzwerk der nahen Zukunft, das "Transparenz" zum Dogma erklärt, und die permanente Überwachung aller durch alle durchsetzt. Die Circle-Gründer haben es nicht nur auf die Machtexpansion der Firma abgesehen. Sie verstehen es als ihre Mission, die Menschheit ein für alle Mal von allem Bösen zu befreien, indem sie noch die letzten dunklen Winkel ausleuchten, in denen es sitzen könnte.

Eggers hat sich natürlich unter anderem von Facebook inspirieren lassen. Doch sein fiktives Netz funktioniert ganz anders als das reale, wie sich am Ostersonntag wieder gezeigt hat. An diesem Tag fuhr der 37-jährige Steve Stephens durch Cleveland, Ohio, und suchte, wie er auf Facebook erklärte, nach einem Opfer für einen Mord. Kurze Zeit später hatte er es gefunden: Es war der 74-jährige Robert Godwin, ein zufällig ausgewählter Mann. Stephens erschoss ihn vor laufender Handykamera und postete das Video auf Facebook Live. Über tausend Menschen sahen es, bevor es nach zwei Stunden entfernt wurde. Später meldete sich der Täter mit einer Live-Botschaft noch einmal. "Ich habe Scheiße gebaut", sagte er, "ich bin durchgedreht ... ich werde töten, bis sie mich kriegen." Als ihn die Polizei stellte, tötete er sich selbst.

Wie die Gründer von The Circle spricht auch Marc Zuckerberg gerne von "Transparenz" und "Community". Die Live-Streaming-Funktion könnte man als ersten Schritt hin zur Rundum-Überwachung wie in Eggers' Roman verstehen. Nun habe "jeder eine Kamera in der Tasche", meinte Zuckerberg bei der Vorstellung, jeder sei sein eigener Fernsehsender.

Je größer das Publikum ist, desto größer ist die Menge der Nutzer, mit denen Facebook Geld verdient

Doch lauter Sender machen noch keine Community. Dafür sind auch Empfänger nötig. Und deren Aufmerksamkeit ist begrenzt. Die Konsequenz daraus kennt jeder, der in sozialen Netzen aktiv ist: Man ertappt sich dabei, sein Leben zu inszenieren, der Schauspieler seines Ich zu werden, um im Wettbewerb um Likes weiterzukommen. Aufgehübschte Selbstporträts, Selfies mit Prominenten, die man getroffen, oder vor spektakulären Orten, die man besucht hat, sind der Anfang. Der nächste logische Schritt sind selbstgemachte Pornobildchen, Videos von Stunts und Gags. "Alle diese Plattformen bringen einen dazu, zu performen", so Elizabeth Joh von der University of California in der New York Times. Und sie versprechen Leuten wie Stephen eine Öffentlichkeit, ohne die ihnen ihre Handlungen möglicherweise selbst sinnlos erschienen. Während die Dauerkontrolle in "The Circle" dämpft und hemmt, provoziert der Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Popularität auf Facebook das Krasse und Extreme.

Am Dienstag zeigte sich Zuckerberg zerknirscht über den Mord. Er versprach, die Firma werde mehr tun, um das Problem in den Griff zu bekommen. Worte, wie man sie schon in der Debatte um Fake News oft von ihm gehört hat. Doch es ist kaum zu erwarten, dass den Worten wirklich Taten folgen werden. Zum einen liegt das an der schieren Masse von "content": Fake News oder Widerwärtigkeiten wie das Snuff-Video aus den Postings von über 1,2 Milliarden User zu sieben, ist schier unmöglich. Was könnten praktikable Kriterien sein? Und wie ließe sich der Verdacht politischer Einflussnahme ausräumen? Letztlich werden solche Eingriffe aber ohnehin wirkungslos bleiben, da sie dem Grundprinzip widersprechen, auf dem der Erfolg von Facebook basiert: Es stellt jedem eine Bühne zur Verfügung, vor der er mit etwas Geschick ein Publikum versammeln kann. Und je größer dieses Publikum ist, desto größer ist die Menge der Nutzer, mit denen Facebook sein Geld verdient. Solange unaufhörliches Wachstum und der pausenlose Krieg um Aufmerksamkeit die Grundprinzipien von Facebook bleiben, kommt der Geist nicht zurück in die Flasche.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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