Kommentar:Allmächtige Intendanten

Christine Dössel

Christine Dössel ist Theaterkritikerin im Feuilleton.

Der wunderbare Schauspieler Shenja Lacher spricht aus, was viele seiner Zunft stört; nämlich, dass Theater letzte Bastionen quasi-preußischer Herrschaft sind. Gut so!

Von Christine Dössel

Befehlsverweigerung war im alten Preußen nicht zu entschuldigen. Weshalb in Kleists Drama "Prinz Friedrich von Homburg" der Titelheld vom Kurfürsten zum Tod verurteilt wird, und das obwohl Homburg durch sein eigenmächtiges Verhalten die Schlacht von Fehrbellin gewonnen hat.

Auch das Theater verlangt von seinen Mitarbeitern absolute Unterordnung, das macht es zu einer der letzten preußischen Bastionen. Auf Insubordination steht zwar nicht die Todesstrafe, aber ein Intendant hat andere Mittel, um wie ein Kurfürst Gehorsam einzufordern und abzustrafen: durch Nichtverlängerung des Vertrages etwa. Auch dies kommt mitunter einem Todesurteil gleich.

Einer, der sich diesem System nicht mehr aussetzen möchte und den Einsatz im Theater künftig verweigert, ist der Schauspieler Shenja Lacher. Seit 2007 ist der 38-Jährige am Münchner Residenztheater, spielt dort mit herausragender Intensität die großen Rollen, den Peer Gynt, den Odysseus in "Philoktet" oder eben Kleists ungehorsamen Homburg. Lacher ist in München ein Publikumsliebling. Nichtsdestotrotz hat er seinen Vertrag zum 31. Oktober gekündigt und will vorerst nur noch drehen. "Weil es nicht mehr geht", wie er in einem bemerkenswerten Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung konstatiert. "Ich liebe Theater über alles, aber die Strukturen innerhalb des Theaters sind mir zu autokratisch, fast noch feudalistisch." Er habe keine Lust mehr, sich anschreien und respektlos behandeln zu lassen: "Nur Material zu sein, das ist mir zu wenig."

"Keine Rücksicht" - unter dem Deckmantel der Kunst

Die Klage über den hierarchisch-autoritären Theaterbetrieb ist nicht neu, aber selten kommt sie so direkt und deutlich von innen heraus. Dort herrscht nämlich Angst. Die Arbeitsbedingungen sind am Theater besonders prekär und die Abhängigkeiten groß. Selbst festangestellte Ensemblemitglieder haben in der Regel fortlaufende Jahresverträge, die jederzeit aufgrund "künstlerischer Gründe" nicht verlängert, sprich: gekündigt werden können. Was "künstlerische Gründe" sind, befindet der Intendant.

In Sachen Mitbestimmung, Bezahlung und Arbeitsbedingungen hinken die Theater anderen Betrieben traditionell weit hinterher. Mutterschutz etwa oder Arbeitszeiterfassung sind "Dinge, auf die im Theater unter dem Deckmantel der Kunst keine Rücksicht genommen wird", wie Lacher beklagt. Er stößt damit ins gleiche Horn wie das "Ensemble-Netzwerk", das sich jüngst gegründet hat, ein bundesweiter Zusammenschluss von Schauspielerinnen und Schauspielern, die die Situation verbessern wollen.

Es ist mutig von Shenja Lacher, die Probleme zu benennen und sich dafür gegebenenfalls als "Nestbeschmutzer" beschimpfen zu lassen. Seine Kritik trifft das patriarchale System empfindlich. Wie er die Allmacht von Intendanten hinterfragt, spricht Bände: "In den Endproben sitzt ein Intendant meist mit der Dramaturgie in den Durchläufen, und hinterher bekommen wir Kritik. Das ist normal. Meist hat die Meinung eines Intendanten aber mehr Gewicht. Ich frage mich, warum." Warum habe ein einzelner Intendant das Recht, "sich über alle beteiligten Künstler hinwegzusetzen"?

Martin Kušej, der regierende Intendant am Residenztheater, dürfte toben ob solcher Worte. Kušej ist ein Theaterpatriarch par excellence, der Kritik nicht duldet. Die Verfasserin dieser Zeilen hat er jüngst bei einer Premierenfeier im Hof - zu der das Publikum ausdrücklich eingeladen war - zur unerwünschten Person erklärt und des Ortes verwiesen, wegen einer negativen SZ-Kritik. Dass ihre Häuser und üppigen Gehälter von Steuergeldern finanziert werden, scheinen manche Intendanten zu vergessen.

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