Kolumne Spurensuche:Schleier des Scheiterns

Kolumne Spurensuche: Tizians Porträt des Kardinals Filippo Archinto von 1558.

Tizians Porträt des Kardinals Filippo Archinto von 1558.

(Foto: John G. Johnson Collection, 1917)

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Tizian zeigt einen Mann, der nicht bekam, was er wollte.

Von Kia Vahland

Manchmal ist jemand anerkanntermaßen der Beste für einen Job, wird gewollt - und kann die Stelle trotzdem nicht antreten. Es kommt einfach nicht dazu, vielleicht, weil bürokratische Kleingeister keine große Lösung wollen oder weil, wie gerade bei der Chefdirigentenwahl der Berliner Philharmoniker geschehen, ein Gremium sich nicht einigen kann. Dem oder der Betroffenen mag das erscheinen, als lege sich ein diffuser Schleier zwischen Absicht und Tat.

Filippo Archinto hatte sich im Konzil von Trient hervorgetan, mit dem die Kirche im 16. Jahrhundert auf die Reformation reagierte. Deshalb berief der Papst den Juristen im Jahr 1556 zum Erzbischof von Mailand. Archinto nahm seinen Bischofsring in Empfang, ließ sich ein Wappen entwerfen und wurde - nichts. Den Mailänder Aristokraten passte die Personalie nicht; sie verhinderten den Amtsantritt des Reformators, bis Archinto zwei Jahre später in Bergamo starb.

Die Geschichte wäre vergessen, hätte der venezianische Großmeister Tizian den verhinderten Würdenträger nicht zweimal gemalt: einmal in konventioneller Pose vor dem Desaster, einmal danach. Diesmal verbirgt ein durchsichtiger Vorhang die Figur in Teilen und lässt ihre Konturen vor dem Auge verschwimmen. Unverhüllt sind die Hand mit Bischofsring und ein Teil des rechten Auges, das hinter dem Tuch hervorblitzt. Der Alte bleibt zum Sprung bereit, seine Rechte könnte zupacken, sein scharfer Blick erfasst die Lage. Hindernisse stellen den Mann vielleicht zeitweise still, berauben ihn aber nicht seiner Fähigkeiten.

Diese Energie, die kein Schleier abzutöten vermag, wirkt bei Tizian im doppelten Sinne: Sie ist Archinto zu eigen, aber auch der Malerei an sich. Damals verhüllte man kostbare Gemälde und enthüllte sie bei besonderen Anlässen. Gemalte Figuren, so glaubten die Zeitgenossen, entfalten eine Eigendynamik; sie können ihre Betrachter im tiefsten Inneren treffen. Unverschleiert, ungebändigt werden sie so machtvoll wie ein Erzbischof, vor dem sich ein paar kleinmutige Städter fürchten.

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