Kolumne Spurensuche:Leiche im Keller

Kolumne Spurensuche: Ein sinnloser Tod: Die Leiche ist nicht loszuwerden in Hitchcocks "Immer Ärger mit Harry".

Ein sinnloser Tod: Die Leiche ist nicht loszuwerden in Hitchcocks "Immer Ärger mit Harry".

(Foto: Universal)

Worum geht es bei Enthüllungen im Wahlkampf? Um Wahrheitsfindung? Oder nur um den Akt der Aufklärung an sich? Hitchcock hätte eine Idee.

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Der Akt der Enthüllung ist manchmal nur ein Selbstzweck.

Gibt es eigentlich noch jemanden, der nichts zu verbergen hat? Leonardo DiCaprio gehört schon mal nicht dazu, er ist in den Veruntreuungsskandal malaysischer Geldgeber verwickelt, und nun kann man lesen, wie wenig die Spendenveranstaltungen für DiCaprios Umweltschutzaktionen zu Wohltätigkeit und Umweltschutz passen wollten. Und im amerikanischen Wahlkampf wird derweil, von beiden Seiten, die nächste Enthüllung gefürchtet.

Das ist ein bisschen wie mit Harry, der sich in Alfred Hitchcocks "Immer Ärger mit Harry" (1955) einfach nicht begraben lässt. Harry war schon zu Lebzeiten ein Ärgernis, sein Ableben aber bringt drei Leute in einem kleinen Dorf in Vermont erst richtig in Bedrängnis: Miss Gravely, Captain Wiles und Jennifer (Shirley MacLaine), bei der man zuerst nachfragen würde, warum Harry tot auf einem Hügel liegt - sie war seine Frau. Die drei fürchten den stellvertretenden Sheriff, denn der hat im Gegensatz zu Hitchcocks Film überhaupt keinen Humor. Sie halten sich selbst für schuldig, wenn auch ohne Reue - hat Jennifer Harry versehentlich erschlagen, oder hat Wiles auf ein Kaninchen gezielt und Harry erwischt? Schon vor dem ersten Versuch, Harry heimlich unter die Erde zu bringen, stolpern ein Kind, Landstreicher und ein halb blinder Dorfbewohner über seine Überreste.

Hitchcock liebte die Reibung zwischen Idylle und Schrecken, die Atmosphäre schlechter Träume, in denen zusammenfindet, was nicht passt. Das Dorf in Vermont ist dafür ein besonders gutes Beispiel - auf sanft sonnenbeschienen Waldlichtungen werden nun den ganzen Tag lang die drei und Jennifers Verehrer Harry ein- und wieder ausbuddeln, und dabei über die Liebe reden und das Teetrinken; nur erschrocken ist keiner. Es geht nämlich gar nicht um die Leiche.

Harry ist das, was Hitchcock einen MacGuffin nannte - er ist nur ein Instrument, um die Handlung voranzutreiben; am Ende ist er nicht einmal wirklich ein Mordopfer. Manche Enthüllung ist auch nur Instrument. Über die von Wikileaks ans Licht gezerrten Zitate von Hillary Clinton kann man beispielsweise streiten, weil sie in ihren Reden zu den Wall-Street-Leuten gar nicht gesagt hat, sie würde ihnen als Präsidentin alle Hindernisse von dem roten Teppich räumen, über den sie fortan wandeln werden. Im Wahlkampf aber reicht es, dass sie Dinge sagt, die sie vor, sagen wir mal, Arbeitslosen in Detroit für sich behalten würde. Ein echter MacGuffin.

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