Kolumne Spurensuche:Der Schlangentöter

Kolumne Spurensuche: Caravaggio: "Madonna dei Palafrenieri" (1606).

Caravaggio: "Madonna dei Palafrenieri" (1606).

(Foto: Museo e Galleria Borghese, Rom)

Soll man Kinder früh an Gefahren gewöhnen oder sie lieber abschirmen von der Welt? Eine Antwort gibt der Barockmaler Caravaggio im Jahr 1606.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Wie man ein Kind an Gefahren gewöhnt, malte Caravaggio.

Die Schlange bäumt sich auf, als die junge Frau ihr mit bloßen Zehen auf den Kopf tritt. Dann umfasst die Frau ihren kleinen Sohn und stellt seinen nackten Fuß auf ihren. Gemeinsam mit der Mutter soll er das Reptil töten. Der Knabe ist hin- und hergerissen zwischen dem Schrecken, der ihm ins Gesicht geschrieben steht, und der herrischen Geste seiner ausgestreckten Linken. Unbeteiligt steht die Großmutter neben der Mutprobe, die Hände gefaltet. Vielleicht behagt ihr diese Erziehungsmethode nicht, doch sie schreitet nicht ein.

Soll man Kinder an Gefahren heranführen, ihnen beibringen, diese zu beherrschen - oder ist es sicherer, die Kleinen so lange wie möglich zu behüten? Fährt man den Nachwuchs im Auto zur Schule oder soll er sich selbst im Verkehr zurechtfinden? Darf die pubertierende Tochter in die Disco, der Jugendliche allein in den Urlaub? Viele Eltern stellen sich diese Fragen. Manche sind lieber vorsichtig, andere meinen, zu viel Sorge gefährde Kinder - denn wenn sie flügge sind, werden sie Risiken nicht einschätzen können.

Die Frau im Bild hat es noch schwerer als andere Mütter. Sie ahnt, ihr Sohn wird jung eines unnatürlichen Todes sterben. Und trotzdem oder gerade deshalb lehrt Maria den kleinen Jesus bei dem Maler Caravaggio früh, seine Furcht erst einzugestehen und dann anzugehen. Sie lässt ihn dabei nicht allein. Ihre eigene Mutter Anna rechts neben ihr würde sich möglicherweise anders verhalten.

Im frühen 17. Jahrhundert galt das von einer Bruderschaft beauftragte Gemälde als Aufforderung, die Erbsünde sowie die lutherische Häresie zu bekämpfen, beide versinnbildlicht in der Schlange. Maria ist die handelnde Akteurin des Bildes, weil die Gegenreformatoren ihr im Gegensatz zu den Protestanten eine prägende Rolle im Heilsgeschehen zubilligte. Jesus ist nackt, um seine verletzbare Menschlichkeit zu zeigen. Doch Caravaggio malt nicht nur die Theologie ab. Er zeigt einen Buben, der sehr früh Verantwortung übernehmen muss.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: