Kolumne: Deutscher Alltag:Er will Blut sehen

Guido Westerwelle hat noch Abenteuer im Kopf, der hat noch Karl May gelesen, der schreibt mit triefenden Blutlettern an weiße Wände: "Kilroy is finally here".

Kurt Kister

Als es noch nicht so viele TV-Denker und Elektrodödel gab, lasen die Menschen mehr Bücher. Richtige Bücher machen gescheit oder sehnsuchtsvoll. Sie erklären alte Welten und eröffnen neue. Karl May war so ein Weltenöffner, zumindest für Buben. Er war vielleicht kein richtiger Schriftsteller, aber doch ein sächsischer Halb-Balzac oder mindestens eine Mischung aus Stephen King und Dirk Kurbjuweit. May beschrieb Welten, die es nicht gab, in denen man aber trotzdem gerne gelebt hätte, zumindest mit zwölf. Heute wird er von den Jüngeren nicht mehr so viel gelesen. Deren exotische Welten sind als Computerspiele auf Datenträger gebrannt. Diese Abenteuer sind nicht mehr im Kopf, sondern werden von der Festplatte unterstützt.

Deutscher Alltag Kurt Kister afp

"Einige werden wohl erst zufrieden sein, wenn ich das mit Blut an frisch gestrichene Wände schreibe", sagte Guido Westerwelle zur Ablehnung der Ampel-Koalition.

(Foto: Foto: afp)

Guido Westerwelle hat noch Abenteuer im Kopf. (Man kann nur hoffen, dass die politischen davon auch dort bleiben.) Und er ist alt genug - 1961 geboren -, um als Bub vielleicht noch Karl May gelesen zu haben. Darauf deutet jedenfalls ein Satz Westerwelles hin, in dem er sich darüber aufregt, dass etliche Leute ihm nicht abnehmen wollen, dass die FDP keine rot-grün-gelbe Koalition machen werde: "Einige werden wohl erst zufrieden sein, wenn ich das mit Blut an frisch gestrichene Wände schreibe."

Was für ein Bild! Ein Fresko der Wahrheit will Westerwelle malen, nein, als Graffito ins nasse Weiß graben. Er will nicht Norbert Biskys Farben benutzen, sondern jene Ur-Flüssigkeit, die uns alle durchströmt. "Blut an frisch gestrichene Wände" - allein damit wird deutlich, wie sich in Westerwelle abendländische Mythen ballen und warum die Türkei nicht EU-Mitglied werden kann.

Blut, also Blut. Schon bei Karl May ist es ganz wichtig: Blutsbrüderschaft; der Löwe der Blutrache; das Halbblut; die unablässigen blutroten Sonnenuntergänge. Blut überall. Das mag den vorpubertären Guido geprägt haben, Mythos Nummer eins. Natürlich, Mythos Nummer zwei, die Flammenschrift an der Wand, das berühmte Menetekel. Waren zwar keine Blutlettern, sondern Feuerbuchstaben. Aber immerhin eine Wand. Und natürlich, Mythos Nummer drei, Faust, der den Pakt mit dem Teufel blutig unterzeichnet ("...ein ganz besonderer Saft"). Schließlich, Nummer vier, die Israeliten, die in ägyptischer Gefangenschaft ihre Häuser mit dem Blut von Opfertieren kennzeichneten, sodass der Würgeengel des Herrn ihre Erstgeborenen verschonte, die der Ägypter aber tötete.

Kein Zweifel, Westerwelles blutige Wandschrift ist trotz schwerster Mythenvermischung Guido at his best. Entgegen aller politischen Vernunft stellt man sich vor, wie er im November als Würgeengel der Herrin Angela an die Steinmeier-entleerten Wände des Außenministeriums mit Ketchup schreibt: "Kilroy is finally here".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: