Kolumne: Deutscher Alltag:Endkrass altmodisch

Die Zeiten des Bandsalats sind vorbei, denn die gute alte Kassette ist nur noch Nostalgie. Dafür wurde sie abgelöst von dem Mäusekonzert in der Sakkotasche.

Kurt Kister

Neulich mit dem zwölfjährigen Sohn am See. Auf der Wiese saß eine ältere Dame, die Kopfhörer aufhatte. Vor ihr lag ein Kassettenrekorder. "Schau mal, Papa, die hat noch nen Kassettenrekorder", sagte der Sohn. Er betonte: "KA-SETTEN-RE-KOR-DER". Er meinte: Dampfmaschine, Pferdekutsche, Plumpsklo. Kassettenrekorder sind für einen Zwölfjährigen endkrass altmodisch. Zwar hat er noch einen Karton von Benjamin-Blümchen-Kassetten rumfliegen. Aber die sind von ganz früher, 20. Jahrhundert, "als ich noch ein Baby war". Heute hat kein Mensch mehr Kassetten.

Die Kassette, Foto: ddp

Der Bandsalat der Kassette wird zur Seltenheit , Computer und MP3-Player sorgen höchstens noch für Kabelauflauf.

(Foto: Foto: ddp)

Tja, hmmm. Ist wohl so. Heute hat man Musik auf dem MP3-Spieler. Und natürlich im Laptop. Manchmal brennt man was auf CD. Wenn man sich ein neues Mobiltelefon kauft, achtet man darauf, dass es einen großen Speicher hat. 32 GB sollte schon sein. Wegen der Musik. Selbst wenn man wenig und/oder ungern telefoniert, ist das Telefon ein Freund, weil Schostakowitsch, das Kronos Quartett und Conor Oberst in ihm wohnen.

Doch, gekaufte CDs hat man auch noch. Sie stehen in schmalen Billy-Brüdern aufgereiht und erinnern an früher. Zum Beispiel auch daran, dass der selige Freund Axel ein paar tausend Jazz-LPs hatte und CDs schon 1993 für Teufelswerk hielt. Was würde er wohl heute sagen, lebte er noch und hörte er, dass man Lionel Hampton und Duke Ellington auf dem iPod mit sich rumträgt. Ist doch so praktisch.

Kassetten ist gar nicht so lange her. Meint man jedenfalls. Damals, im einzigen Cabrio, das man je besaß, weil man sich wegen verschollener Träume nie wieder eines kaufen wird, gab es viele selbst aufgenommene Musikmixe auf Kassetten. Rock for the road hatte man drauf geschrieben oder auch Cohen, Dylan, Baez. Einige von ihnen erlagen der Sonneneinstrahlung. Sie eierten und quietschten. Andere entfädelten sich im Laufwerk, sodass man riesenlange Bandschleifen aus dem Auto-Rekorder fischen musste. War trotzdem schön, das Dach auf, almost heaven, West Virginia.

Heute macht sich die MP3-Maschine solche Mixe selbst. Der Computer schaufelt die Musik auf den Player und da vermischt sie sich dann nach von Steve Jobs programmierten Kriterien. Eigentlich braucht es dazu niemanden mehr, der die Musik auch noch hört. Es ist ohnehin so, dass der MP3-Spieler die Musik am liebsten ohne Menschen laufen lässt. Manchmal hört man feine Geräusche aus der Sakkotasche, so als ob irgendwo ein Mäusekonzert stattfände. Es ist der iPod, der sich angeschaltet hat, auch wenn man ihn vermeintlich sperrte. Er will jetzt ganz alleine Jacques Brel spielen, "Amsterdam" und natürlich "mijn platte land, mijn Vlanderland. Der Kassettenrekorder hat sich nie von selbst eingeschaltet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: