Kolumne: Deutscher Alltag:Deppertes in Berlin

Wurstsalat mit Senf beschmiert und Hauptstädter, die sich als gemütliche Deppen gerieren: Vermeintlich typisch Bayrisches ist für echte Freistaatler oft ein Grund zum Schämen.

Kurt Kister

An einem feuchten, eher kühlen Abend in Berlin. Ein später Spaziergang Unter den Linden, man will noch einen Cappuccino trinken. Nein, das soll man eigentlich nicht auf der Touristenmeile tun, aber was hilft's, man ist halt grad da.

Oktoberfest 2009

Frauen im Dirndl, in der Hand eine Mass: Eigentlich eine typisch bayrische Szene - doch mittlerweile gibt es auch im fernen Berlin ein Wiesn-Pendant.

(Foto: Foto: Getty Images)

Das Lokal, das nicht so genau weiß, ob es Café, Wirtschaft oder Kneipe sein will, heißt nach dem Berliner Lokalmythos Nante Eckensteher. Auf der Speisekarte aber stehen bayerische Dinge: Leberknödelsuppe, Brezn ohne zweites e geschrieben, Schweinsbraten. Und sogar Weißwürste, die auch noch nachts um elf verkauft werden. Was weiß der Berliner schon von Weißwürsten.

Mit dem Bayerischen in Berlin ist es seltsam. Entweder muss man sich als Bayer dafür schämen, oder mindestens genieren, weil der Bayer außerhalb Bayerns gerne als gemütlicher Depp dargestellt wird. Das ist unfair, denn viele Bayern sind keine Deppen und die meisten bayerischen Deppen sind nicht gemütlich. Horst Seehofer zum Beispiel ist häufig in Berlin, und er ist eindeutig ein... aber eigentlich sollte das ja nicht schon wieder eine politische Kolumne werden.

Senf an falscher Stelle

Wenn man also beim Essen bleibt, fällt einem eine Löwenbräu-Wirtschaft ein, die es mal hinter dem Gendarmenmarkt gab. Dort wurde sogenannter bayerischer Wurstsalat verkauft. Ein Teil der Wursträder, die noch nie etwas von Regensburg gehört hatten, war mit Senf beschmiert. Der Kellner sagte, das mache man so in Bayern, man streiche den Senf beim Wurstsalat auf die Wurst. Leider traf den Mann nicht sofort der Blitz.

Im September gibt es in Berlin ein bayerisches Oktoberfest vor dem Roten Rathaus. Da schleppen sie ein Bierzelt aus München an, und am Eröffnungsabend kommen jede Menge gemütliche Mitglieder des gemütlichen bayerischen Kabinetts. In dem Zelt wird sehr getrunken. Viele Menschen tragen, obwohl man sich in Berlin-Mitte befindet, diese grässliche Landhaus-Mode mit Trenker-Filzhüten und bestickten Lederjeans. Die Zeltbesatzung sieht am ersten Abend so aus, als habe man sie extra für diesen ersten Abend aus dem Genmaterial von Paris Hilton, dem Baron Guttenberg sowie einem urigen Tegernseer Einkommensmillionär hergestellt.

Die Berliner mögen Bayern. Vor etlichen Jahren traten die Biermösl Blosn und Gerhard Polt im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm auf. Es war ausverkauft. Zwar verstand ein Drittel bis die Hälfte des Publikums nicht so recht, was auf der Bühne gesagt und gesungen wurde. Der Jubel war trotzdem groß.

Wenn sich der Berliner vorgenommen hat, dass er etwas lustig findet, dann braucht er nichts zu verstehen. Er lacht, isst den Wurstsalat mit Senf und freut sich sehr, wenn ihm in einem Bierzelt in Berlin-Mitte zugeprostet wird, als sei auch er ein gemütlicher Depp.

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