Kolumne: Deutscher Alltag:Blöd wie man ist

Die Deutschen glauben, dass die meisten Mitmenschen doof sind - oder doof gemacht werden. Doch jeder Einzelne ist davon überzeugt, dass er selbst nicht doof ist.

Kurt Kister

Endlich ist Bundestagswahl. Von Sonntag, 18 Uhr an sind folgende Dinge verboten: 1) Die Aussage, dass "die" Politiker nicht über die wirklich wichtigen Sachen reden würden. 2) Die Begriffe Ampel, Jamaika, Linksruck, Fünf-Parteien-System. 3) Alle Ableitungen des Wortes Langeweile im Zusammenhang mit Steinmeier. 4)Alle Ableitungen des Wortes Watte im Zusammenhang mit Merkel. Außerdem gilt für Intendanten und Fernseh-Chefredakteure: Wer Talkshows mit Westerwelle, Lafontaine, Gabriel, Sinn, Heil, Dobrindt und/oder Pofalla auch nach der Wahl herstellt, verbreitet oder deren Verbreitung unterstützt, muss Maxim Billers Autobiographie auswendig lernen. Im Wiederholungsfall wird er drei Monate mit Albrecht Müller, Michael Jürgs und Thomas Wieczorek zusammengesperrt, denen er erläutern muss, dass Fernsehen nicht blöd macht.

Der gegenwärtige Erfolg von Verblödungs-Büchern übrigens - die drei oben genannten Herren sind Autoren solcher Bücher - ist eine interessante Sache. Offenbar gibt es in Deutschland viele Menschen, die glauben, dass die meisten Mitmenschen doof sind oder doof gemacht werden. Jeder Einzelne ist natürlich davon überzeugt, dass er selbst nicht doof ist, weiß aber genau, dass es der Nachbar, der Schwiegervater und natürlich die Arbeitskollegen sind. Um sich dessen noch zu vergewissern, kauft er sich dann ein Buch, in dem steht, dass und warum wir alle von Politik, Medien und der Wirtschaft doof gemacht werden. Glücklicherweise gibt es Buchautoren, besonders gescheite Zeitgenossen, die diese Verblödungs-Verschwörung voll durchblicken, auch weil sie selbst in der Politik oder in den Medien ihr Geld verdient haben.

Am Sonntag also wird man, blöd wie man ist, zum Wählen gehen. Der zwölfjährige Sohn hat schon gewählt, am Freitag vergangener Woche in der Schule beim sogenannten Wahlprojekt "U 18". Vorher präsentierten sich den Kindern und Jugendlichen diverse Kandidaten oder wenigstens Parteivertreter. Von den Grünen kam der leibhaftige Bundestagskandidat, von der CSU immerhin die Tochter der stellvertretenden Leiterin des Gymnasiums. Die Piratenpartei, von der es heißt, Frank Schirrmacher könne ihr neuer Bundesvorsitzender werden, schnitt gut ab. Die Tierschutzpartei war da, die Linken und auch die Violetten. Lediglich von der SPD kam niemand. Gar niemand.

Trotzdem wurde die SPD bei der U-18-Wahl stärkste Partei, weil nicht nur im Gymnasium Kempfenhausen, sondern in ganz Deutschland gewählt wurde. Die Grünen liefen mit 20 Prozent als Zweiter ein, die Union mit 19,3 als Dritter. Die SPD siegte mit 20,4 Prozent. Das könnte Steinmeier am Sonntag auch passieren. Vielleicht nicht der Sieg, aber doch die Größenordnung.

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