Körperkultur und Parteienwerbung:Tattoo und Trachtenmode

Mit dem Auftauchen der CSU-Werbeplakate für die Landtagswahl im Herbst ist der Tätowierung endgültig jede Spur von Wagemut oder Auflehnung ausgetrieben.

Andreas Bernard

(SZ vom 23.7.2003) - Sollte eines Tages die Geschichte des tätowierten Körpers geschrieben werden, käme den ersten Juliwochen 2003 besondere Bedeutung zu. Denn dieser Zeitraum markiert einen Abschluss.

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Mit dem Auftauchen der CSU-Werbeplakate für die Landtagswahl im Herbst ist der Tätowierung endgültig jede Spur von Wagemut oder Auflehnung ausgetrieben.

Man müsste einmal in den Archiven nachsehen, bei welcher Gelegenheit ein CSU-Politiker das letzte Mal von "tätowierten Randalierern" oder ähnlich pauschal charakterisierten Gruppen gesprochen hat.

Lange kann es noch nicht zurückliegen, dass Einritzungen in der Haut in den Augen der Partei als Indiz latenter Kriminalität wahrgenommen wurden.

Doch die Bedeutung der Tätowierung, in der abendländischen Kultur jahrhundertelang Zeichen abweichender Biografien, hat sich in den letzten Jahren in rasantem Tempo gewandelt. Die allgegenwärtigen Schriftzeichen oder indianischen Embleme, auf Sekretärinnen-Schultern und Sportstudenten-Knöcheln, bezeugen dies.

Den Prozess der semiotischen Desinfektion, der Verwandlung in einen biederen Modevorschlag unter anderen hat die Tätowierung also bereits durchlaufen. Das CSU-Plakat allerdings gibt dieser Entwicklung noch einmal eine neue Richtung.

Im Sommer 2003 kann man tatsächlich ein eintätowiertes Parteienlogo ins Zentrum eines konservativ ausgerichteten Wahlkampfes stellen.

Wie hätte wohl der Vater dieser Dirndlträgerin noch vor wenigen Jahren reagiert, wenn er bei der Brotzeit in der Bauernküche seine Tochter zum ersten Mal mit Tätowierung gesehen hätte?

Vielleicht hätte das Mädchen auch einen Sommer lang, hartnäckigen Schnupfen vortäuschend, eine Jacke anbehalten, um einem Streit auszuweichen.

Mittlerweile aber ist die Tätowierung Bestandteil des ästhetischen und politischen Milieus der CSU. Nach "Laptop und Lederhosen" nun "Tattoo und Trachtenmode".

Und die hier abgebildete junge Frau ist nicht allein. Man muss nur einmal nach einer so genannten Münchner "Blade Night" in eine jener Gaststätten mit lustiger Dialekt-Speisekarte geraten, umringt von Weißbier trinkenden Rollschuhfahrern, um das zu wissen.

Bleibt die Frage, ob sich das lebensfrohe, aber doch ein wenig verwöhnt wirkende Model tatsächlich der Prozedur einer echten Tätowierung unterzogen hat.

Schließlich hat nicht zuletzt das "Temporary Tattoo" großen Anteil an der Popularisierung der Körperverzierung. Antwort gibt vielleicht die parteieigene Website: Dort gelangt man zum "CSU-Werbemittelshop", in dem das "Löwen-Tattoo" im Zehnerpack für zwei Euro zu erwerben ist.

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